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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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unzählige Fliegen gekommen, die sich träge in kleinen grauen Wolken über die Dorfstraße bewegten. Manche entfernten sich von ihrer Gruppe, um die Stirn der beiden zu rammen. Aus den geöffneten Fenstern des Gasthofs drangen Lärm und Rauch. Der größte Teil der Gäste vom vorigen Abend schien noch immer zu zechen. Auch die fremde Leiche saß noch auf ihrem Stuhl.
    Doktor Bernhard trat aus dem Haus und zog die Tür schnell hinter sich zu.
    »Meine Frau ...«, sagte er. Es sollte entschuldigen, warum er den Pastor und den Schlachter nicht hereinbitten konnte. Die beiden wußten, daß Heidelinde Wulf nichts für sie übrig hatte, und nickten.
    »Er ist weg«, sagte der Arzt und sah dabei zur Tischlerei hinüber. Der Pfarrer verstand nicht, wen er meinte.
    »Er ist geflohen ... ich meine, er ist weggegangen. Das Labor war natürlich offen. Also, ich meine, er konnte ja gehen, wenn er denn wollte. Das wollte ich sagen.«
    »Der Student?«
    Der Arzt nickte.
    »Ich denke, der ist im Brunnen?« fragte Wilhelm Weber. Der Pfarrer hatte keine Lust, es ihm zu erklären.
    »Wo kann er hin sein?« Dem Arzt gelang es ganz kurz, den Pfarrer und darauf auch den Schlachter anzusehen. »Ich habe ihm nämlich eine Spritze ... also, nur so zur Beruhigung ... aber sie, also sie bewirkt ... wie soll ich das sagen ...« Er ließ es bleiben. Es war zu kompliziert. Und wer sollte dafür Verständnis haben.
    »Wir müssen ihn suchen und in Sicherheit bringen. Ich fürchte, die Dorfbewohner wollen ihn immer noch töten. Wir sind die einzigen, die das verhindern können.« Der Pfarrer spürte, daß die beiden nur geringes Interesse daran hatten. Der Arzt sah die Straße hinauf und hinunter, als erwarte er jemanden, und Wilhelm Weber lehnte sich gegen die Hauswand und nahm mit großem Interesse seine Fingernägel in Augenschein.
    Es entstand ein langes Schweigen.
    »Verdammt«, vergaß sich der Pastor. Er schüttelte unwillig den Kopf. Danach legte er sich eine überzeugende Predigt zurecht. Aber bevor er damit beginnen konnte, sagte der Schlachter: »Ist der wirklich tot?« Der Pastor folgte der Linie des ausgestreckten Fingers. Sie endete bei dem vor dem Gasthaus auf eine Stuhl sitzenden Mann.
    »Doch nicht tot, oder?« Der Arzt suchte Hilfe beim Pfarrer.
    »Nicht tot?« Weber runzelte die Stirn.
    »Doch, doch«, bestätigte Rudolf Pedus.
    »Doch tot?« Der Arzt.
    »Ja, doch.« Der Pfarrer.
    »O Gott.« Der Arzt.
    »Was jetzt?« Weber, gereizt.
    »Tot.« Der Pastor zuckte mit den Schultern.
    »Ich geh dann.« Der Arzt drehte sich um.
    »Moment.« Rudolf Pedus hielt ihn am Ärmel fest. »Gehen wir hinüber.« Zu dritt würde es ihnen vielleicht gelingen herauszufinden, wer das war und wie es geschehen war. Und vielleicht gelang es ihnen sogar, dem trunkenen Treiben im Gasthof ein Ende zu bereiten.
    Der Arzt untersuchte die Leiche notdürftig, ohne sie vom Stuhl zu binden, und gab seine Einschätzung ab, daß der Mann nicht an der Schußwunde in der Schulter, sondern schon vorher gestorben sei. Wahrscheinlich trotz seiner Jugend an Herzversagen. Den fehlenden Daumen hätte der Pastor erklären können, tat es aber nicht.
    Mit schnellen Schritten kam der Gutsverwalter die Straße herunter. Schon von weitem rief er: »Lassen Sie mich sein Gesicht sehen!«
    Er drängte sich an dem Arzt vorbei, hob den Kopf des Toten und ließ ihn erleichtert wieder fallen. »Entschuldigen Sie, ich dachte, es wäre mein Bruder.«
    »Ihr Bruder?« Der Pfarrer kannte die Geschichte. Wieso?« Jürgen Vietel winkte ab. »Es gibt Wichtigeres. Der Gutsherr ist soeben verhaftet worden.«
    »Was?« Ein Mann hing aus dem Fenster der Wirtschaft. Er hatte mitgehört.
    Die Nachricht bewirkte, daß sich die Zecher nach und nach auf der Straße versammelten. Jürgen Vietel erzählte die ganze Geschichte. Und während sie von Mund zu Mund weitergegeben, verändert wurde (mal war der Gutsherr bereits erschossen worden, mal an das Gatter der Einfahrt gefesselt, dann wieder bereits auf der Fahrt zu einer Sträflingsinsel), während sich die Sachlage allmählich klärte und die berauschte Menge sich immer mehr an der Idee berauschte, den Gutsherrn zu befreien, standen sich Jürgen und Dieter schweigend gegenüber. Schließlich grinsten sie einander an und nahmen sich lachend in die Arme.
    »Ich habe dir die Leiche mitgebracht«, sagte Dieter.
    »Du süßer Idiot.« Jürgen küßte seinen Bruder auf die Wange. »Hoffentlich hast du ihn nicht umgebracht?«
    »Nein, die Zeiten sind

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