Herzensach - Roman
Hang hinauf. Es war aus, vorbei. Er mußte es endlich sich selbst eingestehen. Er hatte das Spiel verloren. Und bevor man ihn endgültig auslachte und aus dem Dorf jagte, sollte er so schnell wie möglich verschwinden. Nur so war er vor weiteren psychischen Verletzungen sicher. Und bei der Stimmung der Bauern gegen ihn war es auch Gewähr für geringe physische Verletzungen. Ganz zu schweigen von den Wahnsinnigen, dem Arzt und dem Wurstfabrikanten, die ihn einsperren, für ihre Experimente mißbrauchen oder schlachten wollten.
Leb wohl, Katharina.
Bis zu diesem Moment hatte er immer noch, ohne es sich einzugestehen, einen winzigen Hoffnungsschimmer gehabt, Katharina für sich einzunehmen. Trotz aller Zurückweisung, trotz aller Enttäuschung hatte ein winziger Funke geglommen. Er war nun erloschen.
Leb wohl, Katharina van Grunten! (Hübscher Name.)
Jakob Finn lief den Waldweg schneller hinauf und bog in den untersten Terrassenweg am Hang ein. Er überlegte, ob der Name des von Cornelius van Grunten entführten Mädchens auch Katharina gewesen war. Catharina von Weinstein! Doch, so war es. Mit ihr hatte die Geschichte Herzensachs unter den van Gruntens begonnen. Wahrscheinlich war es üblich, daß die Gutsherren nur Frauen mit diesem Namen heirateten. Gut so!
Leb wohl, Katharina!
Es tut mir leid, daß ich mich nicht wie ein Pirat benehmen konnte und dich nicht entführt habe. Meine Ahnen väterlicherseits waren nur gewöhnliche Kaufleute. Das heißt, so genau weiß ich es gar nicht. Es hat mich nie interessiert. Woher die Familie meiner Mutter kommt, wußte wahrscheinlich nicht einmal sie selbst. Da lebt keiner mehr. Vermutlich zeichneten sich alle meine Vorfahren nur durch ihre hervorragenden Schuhe aus. Mein Vater hat nämlich sein Vermögen mit Schuhfabriken verdient. Aus der Sicht eines Freibeuters eine elende Tätigkeit.
Leben Sie wohl, Frau van Grunten! (Und falls Sie mal Schuhe brauchen – ich werde mich wohl doch der Lederverarbeitung und nicht der Waldbeobachtung verschreiben.)
Der Wald wurde zunehmend dichter und kühler. Er schritt schneller aus, um alles hinter sich zu lassen. Eine Wolke von Fliegen erhob sich vor ihm aus einem Graben. Ein Tier lag dort. Vielleicht ein toter Fuchs, an der Tollwut gestorben. Er näherte sich vorsichtig. Es hatte mehr die Größe eines Rehs. Er schob einen Tannenzweig zur Seite. Es war ein Hund. Ein Hund?
Nein, das durfte nicht sein! Es war Trivial. Trivial!
Er stürzte die kleine Böschung hinunter.
»Trivial!«
Der Hund rührte sich nicht. Jakob Finn ging auf die Knie, berührte die Schnauze. Er atmete nicht. Unter seinem Körper waren die Blätter und das Moos blutrot gefärbt. Er war tot.
Eine Schußwunde am Hals.
»Trivial.«
Jakob legte den Kopf des Hundes in seine Hände und flüsterte immer wieder seinen Namen. Tränen stürzten ihm aus den Augen. Der Hund hatte ihn als einziger sofort akzeptiert, ihn sogar beschützt. Wenn sie einander angesehen hatten, war da ein unausgesprochenes Einverständnis gewesen. Jakob ließ sich auf den Rücken fallen und sah in den Himmel. Der Förster hatte seine Drohung wahr gemacht. Warum nur? Trivial war der Glücksbringer aller Dorfbewohner gewesen, der keinem etwas tat, überall zu fressen bekam, der sicher nicht wilderte viel zu alt dazu war. Warum nur hatte er ihn erschossen? Warum?
Wut stieg in ihm auf. Wut, nicht nur auf den Förster, auf alle Menschen in dem Dorf. Aber was sollte es noch? Was hatte er erwartet? Sie alle waren mitleidslose Gesellen, Verbrecher ohne Ausnahme. Es wurde Zeit, daß er verschwand.
Was hielt ihn noch hier? Wozu sich beim Förster verabschieden. Bloß weg! So schnell wie möglich.
Er stand auf, sammelte Farnzweige und bedeckte Trivial damit. Dann kletterte er auf den Weg zurück, sah von oben noch einmal auf das Farnbett zurück, in dem Trivial ruhte. Entschlossen wandte er sich ab und ging mit schnellen Schritten weiter. Der Weg folgte der Biegung der Herzensach. Er verließ ihn, ging quer durch den Wald zum Fluß hinunter. Wozu sich noch verstecken? Der direkte Weg zur Wohnung und zum Auto! Sollte es nur einer wagen, sich ihm in den Weg zu stellen! Alle waren sie Idioten in diesem Dorf. Nur noch Verachtung konnte er ihnen entgegenbringen. Bloß weg.
Nicht weit von ihm knackte das Unterholz. Etwas hetzte durch den Wald. Wahrscheinlich hatte er Rehe aufgeschreckt. Er blieb stehen. Stoff blitzte zwischen den Bäumen hervor. Es war ein Mensch. Eine Frau.
Katharina?
Katharina!
Er
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