Herzensach - Roman
begegnen, dafür hätte er jedes Zimmer blind gemietet. Nicht einmal Fenster müßte es haben. Andere Aussichten benötigte er nicht.
»Es wird ein wenig staubig sein. Mein Schwiegervater hat bis vor einem halben Jahr darin gewohnt, dann haben wir ihn in die Dachkammer über unserer Wohnung verfrachtet. Er konnte sich nicht mehr allein versorgen.« Die Frau des Tischlers wartete auf dem Treppenabsatz. Sie sah ihn lauschen. »Das mit dem Lärm aus der Werkstatt ist nicht so schlimm. Man hört es kaum. Außerdem ist ja das Büro darunter. Nur unter dem Schlafzimmer beginnt die Werkstatt. Aber nachts wird ja nicht gearbeitet.« Sie lachte verlegen, als hätte sie einen Fehler gemacht. Er stieg zu ihr hinauf, winkte mit der Hand, als würde ihm Lärm nichts ausmachen.
Hinter der Wohnungstür lag ein sehr kurzer Flur mit einem Einbauschrank an der Seite. Ohne Abtrennung öffnete sich der Gang zu einer großen, lichtdurchfluteten Wohnküche. Ein Dachfenster zeigte zum Hof, zwei weitere wiesen zur Straße, aber ihre Schrägung erlaubte nicht den Blick nach unten, sondern nur auf das gegenüberliegende Arzthaus. Jakob sah, wie sich die Gardine im Behandlungsraum schwach bewegte. Er trat zurück in den Raum. Die Küche war mit hellen, gedrechselten Möbeln ausgestattet: die Tapete, kleine blasse Rosenranken auf weißem Grund, paßte perfekt dazu. Alles wirkte neu und sauber – wie aus einem Versandkatalog für Bauernküchen. Petra Timber lehnte als perfektes Hausfrauenmodell an der Küchenzeile, als wolle sie für das Foto in dem Katalog posieren.
»Ich dachte immer«, sagte er, »ein Tischler auf dem Land würde seine Möbel selber machen.«
Sie lachte nur verlegen.
»Aber das ist ein Vorurteil der Städter, was?« ergänzte er.
»Mein Mann macht ... also schnitzt so Figuren in seiner Freizeit. Am Lichter Moor hat er sich dafür eine Werkstatt ... In der Kirche hängt etwas von ihm. Aber Möbel – nein.«
Sie ging an ihm vorbei und öffnete die Tür zum Schlafzimmer, schnupperte und öffnete ein Fenster. Der Einrichtungsstil setzte sich fort. Die Tapete war hier weiß mit einer kaum sichtbaren geprägten Blätterstruktur.
»Mein Mann wollte ja nicht, daß Sie die Wohnung mieten.«
»Warum?«
»Ach ... Manchmal ist er so.«
»Es gefällt mir sehr gut. Ich nehme sie auf jeden Fall.«
Er drückte, weil er glaubte, sie erwarte es, auf die Matratze des Bettes.
»Ihre Tochter ...« Er stoppte, weil ihm aufging, wie dumm es war, angesichts der Matratzenprüfung von ihrer Pflegetochter zu sprechen.
Sie ging nicht darauf ein: »Es ist alles drin. Geschirr und so. Nur die Bettwäsche fehlt. Ich kann Ihnen natürlich für den Anfang welche leihen. Sie sind nicht verheiratet?«
»Ich bringe mir alles aus Hamburg ...« Er grinste. Ihre Frage war erst jetzt in sein Bewußtsein gedrungen. »Nein, bin ich nicht«, sagte er schnell und fügte ironisch hinzu: »Ist es wegen des Damenbesuchs ...?«
Petra Timber zuckte mit den Schultern. »Nur so, man weiß ja gern, mit wem man unter einem Dach wohnt.« Sie rückte die beiden Stühle unter dem Fenster zurecht, sah in die Schränke und prüfte mit dem Finger den Staubbelag auf dem Türrahmen.
Er hatte die Matratzenprüfung beendet. »Ihre Tochter ...«
»Ja?« Sie blieb stehen und sah ihn an.
»Ich meine ... wie soll ich es sagen ... Katharina ist ein sehr eigensinniges Mädchen, nicht wahr?« Er wollte lachen, aber ihr Blick verbot es ihm.
»Ach, machen Sie sich nichts daraus.« Sie schien zu wissen, wie Katharina mit ihm umgegangen war. »Sie macht sich bloß nichts aus Männern. Sonst ist sie ... ganz ...
»Vielleicht hat sie schlechte Erfahrungen gemacht?«
»Ach, besser spät als zu früh.«
»Die schlechten Erfahrungen?«
Sie begann wieder den Raum zu inspizieren. »Nein, überhaupt.«
»Was?«
»Ach, Sie wissen schon: Männer!«
»Oh, es tut mir leid.«
»Sie können ja nichts dafür.«
»Doch. Ich bin einer.«
Sie sah ihn erstaunt an, als würde sie dies zum ersten Mal bemerken. »Mögen Sie Katharina?« fragte sie ungläubig.
Er ging zurück in die Küche. »Ja, ich mag sie.« Er wußte, daß die Mutter der Pflegetochter von dieser Unterhaltung erzählen würde, und war sich der Wirkung auf Katharina nicht gewiß. Die Mutter sah ihn noch immer verblüfft an. Vielleicht wäre ein gelogenes Nein besser gewesen.
»Ich habe die Geschichte über sie gelesen.« Er setzte sich auf die Eckbank an den Tisch.
»Ach, der Pastor.«
»Wieso, stimmt es nicht, daß
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