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Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
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Krebstherapie zu unterziehen. Sie mochte ihn trotzdem nicht.
    »Inge!«
    Die Frau des Pastors lächelte, hob ihre Hand und strich ihrem Mann die Haare aus dem Gesicht. »Ich danke dir. Bitte hol mir nur die Medizin aus der Küche und etwas Wasser.«
    Er nickte. Trivial hatte sich neben das Bett gesetzt und – wie es sich gehört – seine Schnauze der Kranken über die Bettdecke hinweg zugestreckt.
    »Paß auf sie auf«, sagte der Pastor und stieg die Treppe hinunter. Er versuchte zu weinen, doch es gelang ihm nicht. Er ärgerte sich darüber. Mit Tränen in den Augen, aber mit einem fröhlichen Gesicht machte man Kranken Hoffnung auf das Jenseits. Er glaubte fest daran. Seine Frau zweifelte. Schon damals, als er ihr auf der Universität begegnet war, hatte sie ab und zu mit Ironie auf seine christliche Überzeugung reagiert:
    »Ach, Gott?«
    Es hatte ihn herausgefordert. Und deshalb waren sie sich nähergekommen. Wie viele Abende, Nächte, Tage hatten sie nicht diskutiert? Nie war sie ganz überzeugt gewesen. Nur die Notwendigkeit des Glaubens hatte sie eingesehen.
    »Fürs einfache Volk.«
    Er hatte ihr Arroganz vorgeworfen und sie trotzdem oder gerade deshalb geheiratet. Sie war sein Widerpart, holte ihn lachend zurück auf die Erde und führte ihn in Versuchung. Sie war es, die seinen Glauben so erdverbunden wachsen ließ, weil sie nichts von Gott erwartete. Gottes Hilfe sah sie als mögliche Belohnung an, nachdem man selbst bereits alle Anstrengungen unternommen hatte und gar keine Hilfe mehr benötigte.
    Wie entsetzlich war es nun für ihn, diesen kleinen Teufel, diese tatkräftige Frau zu verlieren. Wenn er jemals einen Grund gehabt hätte, an seinem Gott zu zweifeln, dann jetzt. Doch gerade jetzt durfte er vor seiner Frau kein Schwanken zeigen.
    In der Küche stützte er sich auf die Fensterbank. Noch immer keine Tränen. Et sah hinüber zu dem Bauernhof, der direkt neben der Kirche lag. Er ballte die Hand und drohte hinüber. Noch nie hatte sich einer aus der Familie bei ihm blicken lassen. Es waren angeblich die Faulsten des Dorfes und dabei keineswegs die Ärmsten. Aber sie gehörten zu denen, die sich am hartnäckigsten seinen Missionsversuchen widersetzten. Sicher, die Kirche war voll am Sonntag, voller als anderswo, aber was waren das für Christen?
    Inge hatte ihn nach ihrer Heirat gedrängt, nach Herzensach zu gehen. Hier, hatte sie beim ersten Besuch gesagt, wohnen lauter Heiden. Du wirst sie bekehren müssen, oder sie bringen dich um!
    Er wußte nicht, ob er die Dörfler wirklich bekehrt hatte, aber sie hatten ihn nicht umgebracht. Es waren seltsame Menschen, sie arbeiteten wenig, und manchmal schien es ihm, als kämen sie nur zur Kirche, um sich zu treffen und dabei geheime Zeichen eines teuflischen Bundes auszutauschen. Warum standen sie noch so lange nach dem Gottesdienst vor der Kirche, erzählten sich in knappen, rauhen Worten Geschichten, die immer mit einem bösen Lachen endeten? Obwohl sie zu ihm kamen, seinen Rat suchten, hatte er es schwergehabt, ihr Vertrauen zu erwerben. Richtig sicher konnte er sich dessen nicht sein. Er blieb ein Fremder unter ihnen.
    Er löste sich von der Fensterbank, nahm die eckige braune Flasche mit dem Schmerzmittel, ein Glas Mineralwasser und brachte beides langsam nach oben.
    Er erinnerte sich, wie ihn der einäugige Bischof Lenz kopfschüttelnd angesehen hatte. Sie mochten sich beide, der junge Pastor (noch glühend) und der alte einäugige Glaubensmann. Pedus hätte es ausnutzen können, um eine bessere Stelle zu bekommen. Doch er hatte nur den einen Wunsch geäußert. Lenz hatte bei der Erwähnung des Namens Herzensach überrascht seine Hand gehoben und an der schwarzen Augenklappe gezupft. Erst lange nach dem Tod des Bischofs, Pedus war schon fast zehn Jahre in Herzensach, verstand er plötzlich diese Geste. In der Zeitung war er auf einen Artikel gestoßen, der das Verhalten des Bischofs erklärte. Der ›Weinsteiner Bote‹ druckte einmal wöchentlich die Rubrik »Unsere Heimat«. In einem verschnörkelt gerahmten Kasten wurden historische Ereignisse oder Anekdoten aus dem Weinsteiner Gebiet erzählt, die in der Regel den Namen eines Geländes, Weges oder Berges erklärten. Die Rubrik war an diesem Tage mit »Das Auge des Bischofs« überschrieben. Rudolf Pedus las mit wachsendem Erstaunen, daß der kleine Teich neben dem Lichter Moor im Volksmund diesen Namen trug, obwohl er auf Landkarten überhaupt nicht bezeichnet oder gar nicht abgebildet war. Noch

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