Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzensach - Roman

Herzensach - Roman

Titel: Herzensach - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Gerlach
Vom Netzwerk:
sie an einem Freitag in einem Weidenkorb voller Moos, Äpfeln und Tannenzweigen vor der Kirche gelegen hat?«
    »Nein, so ein Quatsch. Das heißt – ich war nicht dabei. Doch, doch. Es wird schon so gewesen sein.« Sie wurde plötzlich geschäftig, ging auf die Knie und räumte in den unteren Küchenschränken herum.
    »Und daß er das weinende Baby in die Kirche getragen und daß es angesichts ...«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich war damals noch nicht in Herzensach. Wissen Sie, ich bin eine Fremde. Ich komme aus Weinstein.«
    »Aber daß man nie herausgefunden hat, wer ihre Mutter oder ihr Vater ist. Das ist doch seltsam. Ich meine, daß ein Kind gerade hier vor der Kirche ausgesetzt wird. Ob das nicht eine Bedeutung hat?«
    »Ach Gott, das sind doch inzwischen uralte Geschichten. Die wollen Sie doch nicht wieder aufwärmen.« Sie hatte begonnen, die unteren Schränke auszuräumen. Sie stellte die Töpfe übereinander auf den Fußboden. »Damit tun Sie Katharina keinen Gefallen.« Sie sah ihn nicht an.
    »Es ist ihr egal?«
    »Ja, ja.«
    »Und Sie? Haben Sie nie nachgeforscht?«
    »Wozu?«
    »Reizt es denn niemanden im Ort, dieses Geheimnis herauszubekommen?«
    »Was wollen Sie? Was soll das?« Sie sah ihn etwas mißmutig an.
    »Als ich diese Geschichte in dem Büchlein von Pastor Pedus las, dachte ich, die Mutter hat sie hier abgesetzt, weil wahrscheinlich der Vater von hier ist. Das ist doch logisch?«
    Sie hatte alle Töpfe auf den Boden gestellt. »Ich dachte es mir. Es fehlt eine Pfanne. Ich habe sie wohl mit in unsere Wohnung genommen. Es war noch eine kleine Pfanne da. Wissen Sie, so für ein Ei. Kann man doch gut gebrauchen, wenn man allein ist. Oder essen Sie keine Eier?«
    »Wissen Sie, was ich glaube, die Mutter war nicht von hier – ihre Schwangerschaft wäre aufgefallen –, aber sie muß sich hier gut ausgekannt haben. In so einem kleinen Dorf hätte doch sonst jemand bemerkt, wie sie mit dem Baby in einem Korb zur Kirche geht und es dort absetzt.«
    Sie stellte die Töpfe zurück, ein Deckel fiel ihr aus der Hand, rollte über den Boden. »Das interessiert doch alles niemanden mehr. Essen Sie jetzt Eier, oder nicht?«
    Er bückte sich, hob den Deckel auf und hielt ihn fest, als sie ebenfalls danach griff. »Sie wissen, wer die Mutter ist, nicht wahr?«
    Sie war erschrocken. Ihre Augen zuckten an ihm vorbei. »Nein, nein ... nein.«
    Wieder einmal hatte Jakob Finn das deutliche Gefühl, in Herzensach, in dieser Ansammlung gepflegter Fachwerkhäuser, diesem Idyll, nicht nur ein Dorf wie jedes andere vorgefunden zu haben, sondern auch eine Ansammlung von Verabredungen, worüber man sprechen konnte und worüber man zu schweigen hatte. Ein sorgsam im Lauf der Zeit gewobenes Gespinst machte es den Bewohnern möglich, miteinander oder unmittelbar nebeneinander zu leben und Probleme auszusparen. Aus reinem Selbstschutz mußten die Dorfbewohner Fremde ablehnen, sie waren eine Gefahr für den Bestand der kleinen Gemeinschaft. Ein Fremder kannte das Geflecht unausgesprochener Vereinbarungen nicht. Möglicherweise mußte man hier aufgewachsen sein, um Grenzen, Gefahren und ungeschriebene Gesetze zu erkennen. Ein Fremder blieb ein Fremder, er konnte mit einer einzigen falschen Frage tatsächlich alles in Frage stellen.
    Sie knieten auf dem Boden und hielten beide den Topfdeckel fest, als wäre er das Geheimnis von Herzensach. Jakob lächelte hilflos.
    »Ich bin fremd hier.« Er ließ den Deckel los. »Ich will nichts falsch machen.«
    »Ich bin auch fremd hier.«
    Sie sahen einander an und lachten. »Stimmt«, sagte er. »Da habe ich eine Frage: Wie lebt es sich hier?«
    Sie hob die Schultern.
    Jakob setzte sich wieder und sah der Tischlersfrau zu, wie sie die Töpfe in die Schränke zurückräumte. Sie schloß die Türen und setzte sich ihm gegenüber.
    »Sind Sie ... sind Sie deshalb gekommen?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wahr?«
    »Was?«
    »Wegen ... ich meine, wegen Katharinas Herkunft.«
    »Was würden Sie sagen, wenn ich ja sage?«
    »Nein.«
    »Es ist auch nicht wahr.« Er lachte, um ihr die Furcht aus den Augen zu treiben. Der Zweifel blieb.
    Sie nahm den Schlüssel aus ihrer Schürzentasche und legte ihn auf den Tisch. »Sie kommen jetzt wohl allein zurecht.«
    »Ja, danke.« Er erhob sich und brachte sie zur Tür.
    Sie drehte sich nicht noch einmal um, verabschiedete sich nicht. Draußen, auf dem Treppenabsatz, blieb sie einen Augenblick stehen, als überlegte sie, ihm noch etwas zu sagen,

Weitere Kostenlose Bücher