Herzensjunge

die Kamera.
    Es gibt kein einziges Bild von Jan und mir. Ich werde mir eines zu Weihnachten wünschen.
    Auf Omas Terrasse steht ein kleiner Tannenbaum mit Lichterkette.
    Ich sitze im Sessel und betrachte den Baum. Oma kocht Tee.
    Ich denke daran, dass Papa mal vorgeschlagen hat, dass Jan mir hier bei Oma Klavierstunden geben könnte. »Und anschließend könnt ihr mit Oma Tee trinken«, hatte er gesagt.
    Jan wird schon hier sein, wenn ich morgen aus der Schule komme.
    Das Zimmer für ihn ist vorbereitet.

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    Lena hat einen neuen Freund. Er tanzt bei Dirty Dancing mit, das im Theater Neue Flora läuft. Ich erfahre es von Andreas, der es von Lenas Vater weiß. Mein großer Bruder scheint die Nachricht aber ganz gelassen zu nehmen.
    Andreas und ich biegen in die Hartwicusstraße ein, in der Oma wohnt.
    Es ist Dienstag. Es ist später Nachmittag. Es ist dunkel.
    Oben sehen wir die Lichter im Fenster. Die kleinen Lampen. Die rote, die orange, die gelbe, die weiße.
    Jan steht an der Terrassentür. Ich gehe zu ihm hin. Als er mich in die Arme nimmt, ist mir auf einmal, als wären wir ganz allein, Jan und ich.Als wären Oma und Andreas gar nicht da.
    »Du bist das Beste, was mir je passiert ist«, sagt Jan und hält mich ganz fest. Und dann sagt er »Danke«.
    Das hat er damals im Bootsmann auch gesagt.
    Jetzt verstehe ich es.
    Auf einmal geht das Licht über Omas Glastisch an, und Oma sagt, dass gleich der Krabbensalat und warmes Toastbrot serviert werden würde.
    Wie gut, dass das hier alles kein Traum ist.

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    Gestern hat mir Jan das letzte Foto gezeigt, das von seiner Mutter gemacht worden ist. Jan und Telse stehen auf
dem Segelboot. Sie lachen, doch sie sehen beide nicht glücklich aus.
    Es wurde am 27. Juni aufgenommen.Von Jans Vater.
    Jens Torge ist freigesprochen worden. Nicht schuldig am Tod seiner Frau, Jans Mutter. Eine Kette von Unglückseligkeiten, hat der Richter erklärt.
    Telse wollte nie aufs Meer. Dass sie dort gestorben ist, verzeiht Jan seinem Vater nur langsam.
    Jens Torge wird es sich sicher nie verzeihen. Doch Jan hofft, dass sein Vater das Leben wieder aufnehmen wird. Hier in Hamburg.
    In zwei Tagen ist Weihnachten. Jan wird mit Lenas Eltern nach Brandenburg fahren, Lena den Tänzer von Dirty Dancing küssen, vermutlich in dessen Wohnung auf St. Pauli.
    Ich werde mit meinen Eltern und meinen Brüdern vor dem Tannenbaum stehen. Es ist zu befürchten, dass Adrian Alle Jahre wieder auf der Blockflöte zu spielen versucht.
    Vielleicht singt Ginger, die Katze unserer Nachbarin, dazu.
    Am zweiten Weihnachtstag sind wir bei Oma eingeladen. Sie wird uns den Operateur ihres Herzens vorstellen.
    Jan wird auch dabei sein. Zwei neue Männer in Omas Wohnung.
    Ich glaube, Papa macht das ganz schön zu schaffen.

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    Hanna und ich sitzen im Balzac . Mama hat den ganzen Morgen White Christmas gespielt, doch es schneit noch immer nicht.
    Papa wird recht behalten. Den einzigen Schnee gab es im November.Vielleicht wird es noch mal welchen im Februar geben, wenn man nur noch vom Frühling träumt.
    Hanna und ich trinken Karamellmilch, weil morgen Weihnachten ist und man doch im Winter viel mehr Kalorien verbraucht.
    Ich weiß, dass sich in Hannas Päckchen, das sie mir auf den Tisch gelegt hat, ein Bilderrahmen befindet. Sie hat ihn bei Magic gekauft und erzählt mir schon seit Tagen davon. Ich werde das Foto von Jan hineintun.
    Jan, der auf unserer Verlobungsbank sitzt.
    Ich schenke Hanna einen silbernen Schlüsselanhänger. Ein kleines Handy. Bin wirklich gespannt, ob Andreas seines bekommt.
    Hanna hat auch eines auf ihrem Wunschzettel stehen.
    Draußen geht Franziska vorbei. Hanna und ich winken ihr zu.
    Schließlich ist morgen Weihnachten.

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    Ich glaube, Papas schlimmste Befürchtung war, dass der neue Mann in Omas Leben jünger sein könnte als er.

    Doch der weißhaarige Herr, der neben Oma steht, ist mindestens genauso alt wie Oma. Dennoch ist er ein ziemlicher Hingucker.
    Mama gefällt er auch. Das kriegen Papa und ich sofort mit.Acht Menschen, die um Omas Glastisch sitzen. Eine große Familie.
    Die Gänse, die Oma serviert, wurden bei Kruizenga gebraten.
    »Das traue ich mir noch nicht zu«, hat Oma gesagt.
    Es gibt Rotkohl dazu und Klöße. Ich habe zwar zwei Kilo verloren, doch das Ziel »Elfe« ist noch immer in weiter Ferne.
    Ich werde ihm an diesem zweiten Weihnachtstag nicht näher kommen.
    Vielleicht hat man mit eins sechsundsiebzig keine echte Chance, eine Elfe zu werden.
    »Das hast du wunderbar