Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
wäre sie dann wohl eher bei ihrem Onkel oder ihrer Oma untergekommen.
Oliver schloss die Wohnungstür auf und bedeutete Hannah, in die Küche zu gehen. Sie ließ ihren Rucksack geräuschvoll auf die Fliesen vor der Garderobe fallen und gehorchte wortlos. Er blieb im Flur stehen und zog langsam seinen Mantel aus.
Hannah umrundete den kleinen Esstisch und sah sich interessiert in der Küche um, die für eine Mietwohnung recht großzügig geschnitten war. Sie war sauber und bis auf etwas Geschirr in der Spüle aufgeräumt. Allein schon wegen der Küche hatte sich der Umzug von Hanau nach Lemanshain gelohnt, außerdem nannte Oliver nun endlich einen Balkon sein Eigen.
Er blieb in der Küchentür stehen. Der Raum kam ihm paradoxerweise für sie beide viel zu klein vor. »Was machst du hier? Weiß deine Mutter, dass du hier bist?« Sein Blick streifte das Mobilteil des Telefons, das auf dem Küchentisch lag. Die Anzeige für entgangene Anrufe blinkte. Damit war seine zweite Frage eigentlich schon beantwortet. Zum Glück hatte er seiner Exfrau seine aktuelle Handynummer nicht gegeben.
Hannah war stehengeblieben und musterte ihn einen Moment, bevor sie demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkte. »Ist das nach vier Jahren deine Art der Begrüßung?« Ihr Tonfall war bissig, sie schien jedoch bemüht, ihre Verachtung, die ihm noch bestens vertraut war, aus ihrer Stimme zu verbannen.
Trotzdem spürte er sofort, wie sich etwas in seinem Inneren zusammenzog, eine alte Verletzung, die sich schon lange nicht mehr gemeldet und die er deshalb sogar schon für vernarbt gehalten hatte. Jetzt wurde ihm schmerzlich bewusst, wie frisch diese Wunde noch immer war und dass allein Hannahs Stimme genügte, sie wieder aufbrechen zu lassen.
Oliver zwang sich, die ihm als Erstes in den Sinn kommende Antwort hinunterzuschlucken. Sie hatte natürlich recht. Nach all dieser Zeit hätte er sich über ihren Besuch, so unerwartet er auch war, freuen sollen, stattdessen verspürte er eine seltsame Mischung aus Misstrauen und Angst.
Er sollte die Vergangenheit ruhen lassen. Immerhin war Hannah damals noch ein Kind gewesen, das nicht ermessen konnte, wie sehr es andere durch sein Handeln und seine Worte verletzte. Doch auch die Klingen einer Zwölfjährigen konnten scharf sein, und ein weiterer Blick in Hannahs Augen genügte, um zu wissen, dass sie die Waffen nicht niedergelegt hatte. Sie war nur bestrebt, sie nicht sofort zum Einsatz zu bringen.
Vier Jahre hatten nichts geändert. Sie hasste ihn noch immer.
Hannah zog ihre nassen Sachen aus und warf sie achtlos über die Lehne eines Küchenstuhls. Sie schien nicht einmal eine Antwort zu erwarten.
»Ich bin nur überrascht«, sagte Oliver schließlich, nachdem er die bittere Erkenntnis aus seinen Gedanken verbannt hatte. »Mit dir habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet.«
In ihre Augen trat ein Funkeln, das er von seiner Exfrau noch sehr gut kannte. »Wenn man Kinder hat, sollte man immer damit rechnen, dass sie bei einem auftauchen.« Sie lehnte sich gegen den Tresen und ließ ihren Blick erneut durch die Küche schweifen.
Oliver nutzte den Augenblick, um sie zu mustern. Hannah war mindestens dreißig Zentimeter in die Höhe geschossen. Aus dem kleinen Mädchen war eine junge, attraktive Frau geworden, die seiner geschiedenen Frau ebenso ähnelte wie ihm selbst. Seine Vaterschaft hätte er niemals leugnen können. Sie hatten dieselben graublauen Augen, dieselbe schmale Nase. Von ihrer Mutter hatte Hannah die dunkelblonden Haare und die Figur geerbt. Und offenbar auch das Temperament.
Sein Blick blieb an ihren Händen hängen, die von der Kälte ganz rot waren, obwohl sie dicke Handschuhe getragen hatte. »Wie lange hast du da draußen auf mich gewartet?«
Hannah zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ein paar Stunden.«
»Warum hast du nicht angerufen?« Er hoffte, dass seine Frage nicht vorwurfsvoll klang.
»Das habe ich versucht. Du hast meiner Mutter deine neue Handynummer nicht gegeben.«
Vielleicht war das doch keine so gute Entscheidung gewesen. Er hatte aber auch nicht damit gerechnet, dass seine Tochter die Nummer brauchen würde.
»Möchtest du einen Tee?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Kaffee, schwarz, ohne Zucker.«
Oliver runzelte die Stirn. »Du trinkst Kaffee?« Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, als ihm auch schon bewusst wurde, wie idiotisch sie war. Natürlich trank sie Kaffee! Sie war kein kleines Kind mehr!
»Ist das ein Problem?« Ihre
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