Herzenskälte: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
Größe über eigene Strafverfolgungsbehörden. Die Dienstwege waren also kurz, weshalb Peter Möhring die Leitung der Kriminal- sowie der Schutzpolizei oblag.
Dass er persönlich am Fundort aufgetaucht war, konnte nichts Gutes bedeuten. Und dass er sie sofort an eine Stelle lotste, wo sie ungestört miteinander reden konnten, verhieß möglicherweise ein besonders unangenehmes Gespräch. Sein Blick sprach für sich. Sie hoffte, dass es lediglich um den Fall und nicht um ein weitaus brisanteres Thema ging.
Als sie zu ihm trat, ließ er ihr nicht einmal Gelegenheit zu einer Begrüßung. »Womit haben wir es zu tun?«
»Weibliche Leiche, um die dreißig, bisher nicht identifiziert. Ohne das Ergebnis der Obduktion vorwegnehmen zu wollen: Wir haben es ziemlich sicher mit Mord zu tun.«
»Scheiße.« Möhring benutzte nur äußerst selten Kraftausdrücke. Dass er es nun tat, war ein Zeichen dafür, wie angespannt er war. Dann fragte er unvermittelt: »Wie lange werden Sie hier noch brauchen?«
Er meinte nicht sie im Speziellen. »Keine Ahnung. Wir sind noch ganz am Anfang. Der Notruf kam erst vor gut zwei Stunden rein. Das wird noch eine Weile dauern.«
»Eine Weile ist zu lange.«
Jennifer sah ihn fragend an.
»Der Bürgermeister persönlich hat den Direktor angerufen«, erklärte Möhring. »Er duldet eine Sperrung der Fußgängerzone bis in die Geschäftszeiten hinein nicht und drängt auf baldmöglichste Freigabe.«
Ein Blick auf die Uhr offenbarte Jennifer, dass es inzwischen fast halb neun war. Die Geschäfte öffneten normalerweise um neun. Sie warf ihrem Vorgesetzten einen vielsagenden Blick zu. Er hatte Druck von oben bekommen und gab ihn ungeniert weiter. »Wir können unsere Arbeit nicht machen, wenn wir die Fußgängerzone freigeben.«
»Das weiß ich«, entgegnete Möhring mit einem Schulterzucken, das sie als Entschuldigung wertete. »Ich bin nur hier, um Ihnen begreiflich zu machen, dass Sie nicht herumtrödeln sollen.« Er stieß ein resigniertes Seufzen aus. »Ich habe zugesichert, Sie darauf hinzuweisen.«
»Danke«, erwiderte Jennifer trocken. Sie atmete tief durch und gab sich selbst ein paar Sekunden, um nicht zu ungehalten auf die Forderung der Stadtverwaltung zu reagieren. In dem Moment tauchte Jarik Fröhlich vor der Hochzeitsagentur auf und begann mit seiner digitalen Spiegelreflexkamera Bilder von der Agentur und der Umgebung zu machen. Die Kriminaltechniker hatten offensichtlich die hintere Zufahrt genommen. »Die Botschaft ist angekommen. Ich bin mir sicher, die Kollegen werden es mir nachsehen, wenn ich diesen gut gemeinten Rat nicht weitergebe.«
Jennifer konnte sehen, dass Möhring ihr Tonfall nicht gefiel. Er hasste es genauso wie sie, sich die trivialen Klagen der Politiker anhören und sich noch dazu bei ihnen anbiedern zu müssen, doch im Gegensatz zu ihr war er in seiner Position bis zu einem gewissen Grad dazu verpflichtet.
Jennifer beneidete ihn nicht darum, bewunderte aber seine Fähigkeit, diesen Spagat täglich hinzulegen. Normalerweise scheute er auch nicht davor zurück, sich für seine Leute einzusetzen. Immerhin war er es gewesen, der sie vehement verteidigt hatte, als Bürgermeister und Stadtrat sie vor nicht einmal einem halben Jahr am liebsten sonst wohin versetzt hätten, weil sie für ihren Geschmack ein paarmal zu oft auf einen Serienkiller geschossen hatte. Letztlich war sie mit einer vierwöchigen Suspendierung und zehn Sitzungen beim Polizeipsychologen davongekommen.
Jennifer verbiss sich deshalb jede weitere Bemerkung zu dem Thema. »Die Spurensicherung ist eben eingetroffen, und ich gehe davon aus, dass Professor Meurer die Leiche bald für den Abtransport freigeben wird. Allerdings wird das nicht passieren, bevor der zuständige Staatsanwalt hier ist und sich den Fundort angesehen hat.«
»Grohmann bekommt den Fall?«, fragte Möhring.
Obwohl die Frage rhetorischer Natur war, beantwortete Jennifer sie. Wenn es einen Staatsanwalt gab, der sich nicht auf Fotos verließ, sondern sich jeden Fund- oder Tatort persönlich ansah, dann war es Oliver Grohmann. »Ja. Er ist mit Sicherheit schon auf dem Weg hierher.«
Ihr Vorgesetzter nickte. Eigentlich hätte er jetzt gehen können, doch das Schaufenster der Hochzeitsagentur schien ihn magisch anzuziehen. Er schlenderte darauf zu, während er fragte: »Wer hat sie gefunden?«
»Ein Bäckerlehrling, der in aller Frühe Brötchen ausliefert.« Der Krankenwagen war inzwischen verschwunden, das Fahrrad mit den
Weitere Kostenlose Bücher