Herzflattern im Duett
Beinen wie ein Kleinkind seine Mama. Doch Daka war kein Kleinkind. Daka war 12 Jahre alt. Und sie wog 41 kg. Mit Schnürschuhen 41,5. Das war zu viel für die kleine Tanne. Sie neigte sich unter dem Gewicht nach unten, bis die Spitze beinahe den Boden berührte.
»Schlotz zoppo!«, schrie Daka.
Das hieß ›Ach du Schreck!‹.
Ein Ast knackte und auf einmal schoss die Tannenspitze mit Daka nach oben. Daka blieb keine Zeit, ordentlichen Halt zu suchen. Die Tanne schleuderte sie mit aller Kraft in die Luft, als wollte sie einen Rekord im Halbvampir-Weitwerfen aufstellen.
»POOOMPFE!«, schrie Daka.
›Pompfe‹ hieß ›Hilfe‹. Und ›Pooompfe‹ hieß ›Hiiilfe‹.
Mihai und Silvania Tepes verfolgten Dakas Flug mit offenem Mund. Sie kam direkt auf sie zugeflogen. Es sah sehr spektakulär aus. Oder lag das nur daran, dass sie kopfüber im Baum hingen?
Daka drehte die Handflächen nach vorne, versuchte zu bremsen und zu lenken. Doch damit änderte sie weder etwas am Flugkurs noch an der Geschwindigkeit.
»Meinst du, wir sollten ihr helfen?«, fragte Silvania, ohne ihre Schwester aus den Augen zu lassen.
Mihai Tepes hatte den Blick ebenfalls starr auf Daka gerichtet. »Hm. Sie fliegt doch seit ihrem fünften Lebensjahr ohne Stützflügel.« Herr Tepes war ratlos. Er sah, wie Daka schreiend und mit weit aufgerissenen Augen auf sie zugestürmt kam. Sollte das eine Slapsticknummer sein, dann war sie Weltklasse. Aber wenn nicht ...
»Pompf, Pompf, POOOMPFEEE!«, schrie Daka.
Und da, als Daka nur noch wenige Zentimeter von ihnen entfernt war, entdeckte Mihai Tepes etwas in den Augen seiner Tochter. Etwas, was er dort bis jetzt nur sehr selten gesehen hatte. Es war Angst.
Daka schrie.
Silvania schrie.
Mihai Tepes brüllte.
Dann ging alles so schnell, dass noch nicht einmal ein Vampir den Geschehnissen mit bloßem Auge hätte folgen können.
ZACK! WUSCH! ZONG!
Mihai Tepes streckte im letzten Moment die Arme aus und fing Daka ab, bevor sie mit vollem Karacho vor den Baumstamm geflogen wäre. Dabei wäre Herr Tepes beinahe selbst vom Ast gerutscht, hätte Silvania nicht seine Beine umklammert.
Herr Tepes hing seine Tochter behutsam an den Ast. Dann war einen Moment nichts zu hören als das heftige Atmen eines Vampirs und zweier Halbvampire, die in Reihe am Ast hingen.
»Datiboi flatliac«, seufzte Silvania, der Fledermaus sei Dank.
Mihai Tepes beruhigte sich nach dem Schrecken langsam wieder. Er atmete tief ein und aus, wie es ihm sein Bruder, der Ha-Chi-Meister, beigebracht hatte. Etwas Frischblut wäre natürlich noch besser für die Nerven.
Daka klammerte sich krampfhaft mit den Beinen und Händen an den Ast. Immer wieder verdrehte sie die Augen nach oben und sah auf den Erdboden. Er war ihrer Meinung nach viel zu weit weg.
»Ist wieder alles in Ordnung?«, fragte Silvania.
Daka zuckte mit den Schultern. »Geht so.«
»Was war denn eben los?«, wollte Silvania wissen.
»Keine Ahnung. Ich habe mich auf einmal von der Erde so angezogen gefühlt«, erwiderte Daka. »Es war ... total unheimlich.«
»Du meinst, du hast dich zu schwer gefühlt?«, hakte Silvania nach. Dieses Gefühl kannte sie sehr gut.
Daka schüttelte langsam den Kopf, während sie nach Worten suchte. »Nein, es war so, als ... als ... als hätte ich das Fliegen verlernt.«
»Gumox!«, mischte sich Mihai Tepes ein. »Fliegen verlernt man nicht. Das ist wie Atmen, Gehen oder Schwimmen. Du hast heute nur ein Formtief. Das hat jeder einmal. Mach dir keine Sorgen, Daka. Sogar Onkel Vlad ist einst über dem Smochi-Tal abgestürzt. Mitten auf einen Maulwurfhügel, auf dem sich zuvor eine Kuh erleichtert hatte.« Mihai Tepes kratzte sich am Kinn. »Allerdings hatte er vorher einen ganzen Hirsch gegessen und drei Flaschen Karpovka getrunken.«
Daka warf ihrem Papa einen zweifelnden Blick zu.
Der stimmte kurz darauf als Höhepunkt des Ausflugs ›Transsilvania, rodna inima moi‹ an. Daka starrte auf die kleine Tanne, auf der sie wie ein Mehlsack gehangen hatte. Nicht nur Daka, auch die Tanne sah nach diesem kleinen Zwischenfall etwas mitgenommen aus.
Nachdem die Tepes alle 14 Strophen gesungen hatten und Herr Tepes einen kleinen Mitternachtssnack eingenommen hatte (eine Waldmaus war etwas unvorsichtig gewesen), flogen sie zurück in den Lindenweg.
Daka war noch nie so froh gewesen, nach einem Ausflug wieder in ihrem Schiffsschaukelsarg zu liegen. Sie drehte sich auf die Seite, presste das schwarze Kissen mit den haarigen Spinnenarmen an
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