Herzflimmern
hinterher, sie hätte es nicht getan. Sie fand ihren Verdacht bestätigt; die Gefäße waren alle von Angeline gemacht.
Dennoch konnte sie nicht sicher sein, ob da wirklich eine Verbindung bestand. Eines der Gefäße hatte sich in einem Karton befunden, auf dessen Deckel der Name einer Kunstgalerie stand. Ruths erster Impuls war gewesen, sich die Galerie anzusehen. Aber Dr. Ruth Shapiro ließ sich doch nicht dazu herab, ihrem Mann nachzuspionieren; war doch nicht so armselig, sich in einem Sumpf völlig unbegründeten Argwohns hinunterziehen zu lassen. Arnie sollte eine Affäre haben? Das war wenig wahrscheinlich. Sie brauchte ihn nur ganz direkt zu fragen, wer in dem Block wohnte, dann würde sie erfahren, daß es etwas völlig Harmloses war. Wahrscheinlich hockte er da mit ein paar anderen Teilnehmern seines Kurses zusammen und fachsimpelte über den letzten Vortrag. Was hatte Arnie gesagt, womit sich der Kurs befaßte? Ruth konnte sich nicht erinnern.
Es war rücksichtslos von ihm, ihr gerade jetzt, wo sie tief in der Krise steckte, auch noch das Leben schwerzumachen. Sie mußte ihre Probleme klären, alles, was ihr Leben ausmachte, sichten und analysieren, um sich entscheiden zu können, was sie behalten und was sie wegwerfen wollte. Ungefähr so, wie wenn man einen Schrank ausmistet, dessen Inhalt man sich jahrelang nicht angesehen hat. Mit Margaret Cummings’ Hilfe würde ihr das vielleicht gelingen, aber nicht, wenn Arnie ihr in den Rücken fiel.
Ruths Blick fiel auf den Brief, den sie von Mickey erhalten hatte, ein Fortschrittsbericht über Sondra. ›Die Schädigungen an den Streckmuskelsehnen haben wir durch eine Sehnenverpflanzung von der vierten Zehe zum Zeigefinger zu beheben versucht. Mit Hilfe einer Sehnenverpflanzung vom proximalen Sehnenstumpf des dritten Fingers habe ich die iunctura tendinum zwischen dem dritten und vierten Finger wieder {316} hergestellt. Die Hand wird jetzt in gestreckter Haltung drei Wochen immobilisiert. Dann kommen die Schienen heraus, und so Gott will wird die Hand zumindest teilweise wieder funktionsfähig sein.‹
Obwohl ihre Bitterkeit sich auf alles erstreckte – ihre Kinder, ihren Mann, ihre alten Freundinnen, ja, selbst die Vögel in der Luft –, mußte Ruth zugeben, daß das, was Mickey da versuchte, sehr mutig war. Und was Sondra aushielt, war bewundernswert. Erst die vielen Operationen, dann wochenlanges Stilliegen in der Gipsschale, während ihre Hände wegen der Hautverpflanzung an ihren Bauch genäht waren, unzählige Spritzen und Eingriffe.
In gewisser Hinsicht beneidete Ruth die beiden. Mickey und Sondra hatten ihre Arbeit abgesteckt, hatten klare, erkennbare Ziele. Sie arbeiteten zusammen, unterstützten sich gegenseitig, gaben einander Halt, indem sie teilten. Wann hatte Ruth solche Gemeinschaft das letztemal erlebt?
Als wir noch in der Wohnung in der Avenida Oriente lebten und uns beim Geschirrspülen abwechselten …
Ruth wünschte, Mickey hätte nicht geschrieben, sie nicht gezwungen, ihr Leben mit dem der beiden Freundinnen zu vergleichen. Die beiden hatten ihren Weg gefunden; sie hingegen tappte immer noch im Dunkeln.
»Aber das ist es ja gerade!« Ruth sprang aus dem Sessel auf und begann wieder, im Zimmer hin und her zu laufen. »Ich weiß nicht, worauf ich wütend bin. Oder auf wen. Das ist es ja, was mich so verrückt macht. Die Wut hockt ständig auf meinem Rücken, krallt sich in mich ein, und ich kann sie nicht abschütteln. Sie läßt keine Minute nach. Ich bin wütend, wenn ich aufwache und ich bin wütend, wenn ich abends einschlafe. Aber meine Wut hat kein Ziel. Es gibts nichts, worauf ich sie richten kann.«
Margaret Cummings beobachtete Ruth, wie sie immer wieder den gleichen Weg durch das Zimmer nahm, während sie an einer Zigarette sog, die sie halb geraucht in dem großen Aschenbecher ausdrückte. Dann zurück zum Sessel, die nächste Zigarette aus der Tasche geholt, angezündet, und die Wanderung durch das Zimmer begann von neuem.
So hatte Margaret Cummings Ruth schon vor sieben Monaten erlebt, als sie das erstemal zu ihr gekommen war – eine Frau mit einer ungeheuren Wut, von der sie nicht wußte, wohin mit ihr. Und seit jenem Tag im Februar hatte sich nichts verändert. Sie waren der Lösung, von der sie beide wußten, daß sie in Ruth selber lag, nicht einen Schritt nähergekommen.
»Ich gerate immer mehr außer Kontrolle«, fuhr Ruth verzweifelt fort. {317} »Wissen Sie, Margaret, es gibt zwei Arten von Wut. Die
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