Herzflimmern
adoptiert.«
»Als ich dich heute morgen bei der Einführung sah«, sagte Ruth, während sie eine Packung Zigaretten aus ihrer Tasche kramte, »dachte ich, du wärst Polynesierin. Jetzt wirkst du eher wie eine Süditalienerin oder Spanierin auf mich.«
Sondra lachte. »Du hast keine Ahnung, wofür mich die Leute schon gehalten haben! Einer erklärte sogar mal steif und fest, ich müßte Inderin sein.«
»Du weißt überhaupt nicht, wer deine Eltern waren?«
»Nein, aber ich habe eine Ahnung, wie sie aussahen. Bei mir auf der Schule war ein Mädchen, das mir sehr ähnlich sah. Viele hielten uns für Schwestern. Aber sie kam aus Chikago. Ihre Mutter war eine Schwarze und ihr Vater ein Weißer.«
»Ach so.«
»Ich hab’s inzwischen kapiert, weißt du. Aber meine Mutter hatte Riesenprobleme mit meinem Aussehen, als ich größer wurde. Meine Adop {20} tivmutter, meine ich. Als sie mich adoptierten, war ich noch ein Säugling, und sie hofften wohl, ich würde mich so entwickeln, daß man mit ein bißchen gutem Willen eine Ähnlichkeit mit meinem Vater erkennen könnte. Er hat auch schwarzes Haar. Aber ich entwickelte mich ganz anders, von Ähnlichkeit zu meinen Eltern konnte keine Rede sein, und das machte meiner Mutter schwer zu schaffen. Sie ist Mitglied in allen möglichen Klubs, bewegt sich in den vornehmsten Kreisen, und ich weiß, daß sie eine Zeitlang richtige Ängste hatte. Besonders als mein Vater beschloß, in die Politik zu gehen. Aber dann kam zu meinem Glück die Bürgerrechtsbewegung. Plötzlich war es
in,
den Schwarzen zu helfen, und meine Mutter brauchte nicht mehr von irgendwelchen italienischen Vorfahren zu flunkern, um mein Aussehen zu erklären.«
Ruth und Mickey starrten Sondra erstaunt an. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß ihr Aussehen ein Handicap gewesen sein sollte. Ruth, die ständig mit ihrem Gewicht zu kämpfen hatte, und Mickey, die unter der Verunstaltung ihres Gesichts litt, fanden Sondras exotische Schönheit und langgliedrige Geschmeidigkeit nur beneidenswert.
»Bist du ein Einzelkind?« fragte Ruth.
Sondra nickte. »Meine Mutter wollte nicht mehr Kinder. Aber ich hab immer von einem Haufen Geschwistern geträumt.«
Ruth zündete sich eine Zigarette an. »Ich hab drei Brüder und eine Schwester. Ich hab immer davon geträumt, ein Einzelkind zu sein.«
»Ich hätte auch gern Geschwister gehabt«, sagte Mickey leise und ließ sich endlich, den Rücken an die Schranktür gelehnt, auf dem Boden nieder.
Ruth starrte auf die Zigarette in ihrer Hand. Der Blick ihrer braunen Augen war hart. Geschwister schön und gut, aber vorausgesetzt, es war genug Vaterliebe für alle da.
»Hallo! Hallo!«
Die drei drehten die Köpfe. An der offenen Tür stand eine junge Frau mit einer Flasche Sangria und vier Gläsern. »Ich bin Dr. Selma Stone, viertes Jahr. Ich bin euer persönliches Empfangskomitee hier.«
Sie war mit klassischer Eleganz gekleidet: Tweedrock, Seidenbluse und Perlenkette; konservativ wie das ganze College. Sie holte sich den Schreibtischstuhl und setzte sich zu den anderen.
»Du bist im vierten Jahr?« fragte Ruth und nahm ein Glas Wein entgegen. »Wieso bist du dann schon
Doktor
Stone?«
Selma lachte. »Ach, im dritten Jahr fängt die klinische Ausbildung im Krankenhaus an – drüben, im St. Catherine’s –, und da verlangen sie, daß man sich den Patienten als
Doktor
vorstellt. Das beruhigt die Patienten. {21} Ich tu das jetzt seit einem Jahr, darum kam es ganz automatisch. Mein Examen mache ich erst in neun Monaten.«
Ruth wußte nicht recht, was sie von dieser Unehrlichkeit den Patienten gegenüber halten sollte, und sagte nichts.
»Ich hab mich angeboten, euch vor dem Tee heute nachmittag persönlich willkommenzuheißen. Das gehört hier zur Tradition, seit auch Frauen zugelassen werden. Vor drei Jahren, als ich anfing, war ich die einzige Frau in meinem Jahrgang. Ich kann euch nicht sagen, was für Angst ich hatte! Ich war froh, als eine von den älteren Studentinnen zu mir kam und ein bißchen mit mir redete.«
Sondra sah Selma aufmerksam an und versuchte, sich vorzustellen, wie es gewesen sein mußte, unter neunzig Studenten die einzige Frau zu sein.
»Ihr habt sicher eine Menge Fragen«, fuhr Selma fort. »Das geht allen Neuen so.«
Abwartend, taxierend betrachtete sie die drei jungen Frauen. Die kleine Brünette würde hier in Castillo überhaupt keine Schwierigkeiten haben; der Blick ihrer Augen verriet den eisernen Willen zum Erfolg. Und die
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