Herzflimmern
ihn zusammen mit ihrem eigenen Neugeborenen gestillt hatte, da die
memsabu
zu schwach gewesen war, selber für ihr Kind zu sorgen. Seine ersten Schritte hatte er auf Kenias roter Erde gemacht; die afrikanische Sonne hatte seine rosige Haut gebräunt; seine ersten Worte waren ein kindliches Mischmasch aus Suaheli und Englisch, seine ersten Spielgefährten waren kleine Schwarze.
Beim Begräbnis seiner Mutter nahm ihn die schwarze Kinderfrau tröstend in ihre kräftigen Arme, während sein Vater verschlossen und unzugänglich abseits stand, ein Fremder, der es sich nicht gestattete, vor den Schwarzen Schmerz zu zeigen. Nach Liebe ausgehungert, die sein Vater {174} ihm nicht geben konnte, hatte Derry sich später eng an Kamante angeschlossen, einen gleichaltrigen Schwarzen. Tagelang verschwanden die beiden Halbwüchsigen im Rift, um auf Löwen Jagd zu machen, rissen sich an denselben Dornbüschen, schliefen unter denselben Sternen, und zum erstenmal erwachte in Derry ein Gefühl von Zugehörigkeit.
Kurze Tage waren es, die eine Ahnung von eigener Identität und bedingungsloser Liebe brachten, ehe Reginald Farrar seinen Sohn, wie es schien, zum erstenmal wahrnahm und sah, welch unverzeihlichen gesellschaftlichen Verstoß er beging. Unverzüglich sorgte er dafür, daß der Junge aus dieser ungesunden Atmosphäre freundschaftlichen Umgangs mit den Schwarzen entfernt wurde. Am Vorabend seiner Abreise nach England ging Derry ein letztes Mal mit Kamante ins Rift hinunter, nicht um zu jagen, sondern einzig, um die Tiere noch einmal zu sehen und Abschied zu nehmen von ihnen und von dieser Welt, die er liebte.
England haßte er, fand dort keinen Platz für sich, da er sich nicht als Brite fühlte. Seine kühnen Einsätze bei der Luftwaffe flog er nicht, wie alle Welt glaubte, aus Liebe zu England; sie waren allein das zornige Bemühen eines Einzelnen, diesen Krieg zu beenden, der ihn seiner wahren Heimat fernhielt.
Bei seiner Heimkehr starb sein Vater, und er fand sich in einem von Unruhen geplagten, geteilten Land, in dem der Sohn eines der verhaßten weißen Kolonialherren keinen Platz mehr hatte. An jenem Oktobertag im Jahr 1953 erkannte der einunddreißigjährige Derry, daß er in ein Niemandsland zwischen zwei Welten geraten war; in keine von ihnen gehörte er hinein, keine von ihnen wollte ihn haben.
Jane hatte ihn zwei kurze Jahre aus diesem luftleeren Raum gerettet und ihm einen Platz gegeben. Als sie ihn verlassen hatte, war er wieder wurzellos gewesen.
»Kwenda! Kwenda!«
Laute Rufe rissen Derry aus seinen Gedanken. Er sah, wie Kamante, der Freund seiner Jugendtage, einem der Fahrer, der gemächlich eine Zigarette rauchte, ungeduldig zuwinkte.
Es hatte Derry, als er nach England gekommen war, überrascht, daß man dort die Schwarzen für unzuverlässig und faul hielt. Er wußte, daß es kaum fleißigere Menschen gab als die Kikuyu. Sie mochten für den Mau-Mau-Aufstand verantwortlich gewesen sein, aber sie hatten auch den brillanten Jomo Kenyatta hervorgebracht und ihm zur Macht verholfen, hatten Kenia die Unabhängigkeit wiedergegeben und das Volk durch einen einigenden und positiven Nationalstolz zu neuer Lebenskraft erweckt.
Harambee!
riefen sie. Laßt uns zusammenstehen!
{175}
Kamante, einundfünfzig Jahre alt wie Derry, hatte nicht ein einziges weißes Haar auf dem ebenholzfarbenen Schädel. Die muskulösen schwarzen Arme, die jetzt in der frühen Januarsonne glänzten, waren so kräftig wie damals, als Kamante einen höchst unglücklichen und beschämten Derry aus einem Dornengestrüpp befreit hatte. Mit energischem Schritt ging Kamante zu Abdi, einem Fahrer, überschüttete ihn mit einem heftigen Wortschwall, und schon ging der Mann wieder an die Arbeit.
»Du kannst jetzt Inspektion machen!« rief Kamante und winkte Derry zu.
Derry winkte zurück und machte sich auf den Weg zu den Wagen.
Sondra, die in ihrer Hütte dabei war, ihr Bett zu machen, hielt inne, als sie von draußen Derrys Stimme hörte, und klopfte heftiger als nötig gewesen wäre das Kissen glatt. Sie war ärgerlich. Sie fand, daß sie jetzt dort draußen hätte sein sollen, um die letzten Vorbereitungen für die Fahrt ins Land der Massai zu treffen. Aber Derry war anderer Meinung.
Sie waren, so schien es ihr, eigentlich ständig unterschiedlicher Meinung. Dabei wollte sie ja hier gar nichts verändern – sie wollte nur einige Verbesserungen einführen. Aber Derry war ein starrsinniger Mensch, neuen Ideen überhaupt nicht
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