Herzflimmern
hing; den kräftigen Oberkörper, dessen Muskeln sich unter dem durchnäßten Hemd abzeichneten; die zornigen Gesten seiner schlammverschmierten Arme. Vor allem aber hatte sie die stürmische Glut in seinen Augen gefesselt.
Und in der Nacht hatten die Träume begonnen, hocherotische Träume von Derry. Sondra wollte sie nicht, wünschte, sie würden endlich aufhören. Sie beunruhigten sie; die Vorstellung, daß sie sich zu diesem Mann hingezogen fühlen sollte, der sie mit seiner unzugänglichen, starrsinnigen Art jeden Tag von neuem reizte, war absurd.
Nachdem Pastor Sanders den Segen gesprochen hatte, verabschiedete man sich und ging zu den vollgepackten Autos. Alec blieb einen Moment stehen und nahm Sondras Hand.
»Viel Glück«, sagte sie. »Ich beneide dich.«
»Das Glück hast du nötiger als ich. Ich lasse dich hier mit der ganzen Arbeit zurück.«
Sondra warf unwillkürlich einen Blick zum Krankenhaus, wo sich schon eine Gruppe von Patienten angesammelt hatte. Alec sah in ihrem Blick einen Ausdruck, dessen sie selber sich nicht bewußt war.
Es war ein Ausdruck des Trotzes und der Herausforderung. Alec wußte natürlich von dem Konflikt zwischen Derry und Sondra, diesem Aufeinanderprallen zweier ungemein willensstarker Persönlichkeiten aus zwei völlig unterschiedlichen Welten. Derry, der vor zwanzig Jahren sein Studium beendet und den wissenschaftlichen Fortschritt nur am Rande mitbekommen hatte, war ein Arzt alter Schule, doch er konnte auf jahrelange Erfahrung zurückgreifen und besaß die Fähigkeit, in jedem Patienten wie in einem Buch zu lesen, was ihn zu einem hervorragenden Diagnostiker machte. Sondra andererseits war jung und unerfahren, konnte gerade drei Jahre klinischer Erfahrung vorweisen, verfügte jedoch über ein Fachwissen, das auf dem letzten Stand war. Hätte ihr eigensinniger Stolz es den beiden erlaubt, so hätten sie ein ausgezeichnetes Team abgeben können.
Nun würde Sondra zum erstenmal allein mit Derry im Krankenhaus ar {178} beiten. Alec konnte nur hoffen, daß sie miteinander zurechtkommen würden.
»Morgen nachmittag bin ich wieder da und löse dich ab«, sagte er, noch immer ihre Hand haltend.
Sondra sah ihn an, sah das warme Lächeln und die weichen Gesichtszüge und fragte sich, warum sie nicht von Alec träumen konnte.
»Paß auf dich auf«, sagte sie. »Und viel Erfolg.«
Sie winkte den Wagen noch nach, bis sie verschwunden waren, dann ging sie ins Krankenhaus, wo Derry schon an der Arbeit war.
Die Patienten wurden nach einem einfachen System betreut: Wenn sie kamen, warteten sie auf der Veranda, bis sie nacheinander hereingerufen wurden. Die Ambulanz war ein großer, strohgedeckter Raum, der in der Mitte durch einen Vorhang geteilt war. In jedem der so entstandenen beiden Behandlungsräume gab es einen altmodischen Untersuchungstisch, einen Instrumentenschrank, einen Medikamentenschrank und einen kleinen fahrbaren Instrumententisch. Das Waschbecken in der Mitte teilte man sich.
Die Patienten, die regelmäßig zur Behandlung kamen, waren Sondra inzwischen wohlvertraut, und auch sie hatten sich mittlerweile an die
memsabu daktari
gewöhnt. Dennoch behandelte Sondra vor allem Frauen und Kinder; die Männer zogen es vor, auf Derry zu warten. In den vier Monaten ihres Aufenthalts hatte sie genug Suaheli gelernt, um ohne Dolmetscher arbeiten zu können.
Sondra konzentrierte sich auf die junge Frau, die auf ihrem Untersuchungstisch lag. Sie konnte die Milz nicht ertasten, und als sie die Brust des Mädchens abhörte, glaubte sie Herzgeräusche zu hören, die auf eine Herzvergrößerung schließen ließen. Die junge Frau erklärte ihr, sie litte immer wieder an Anfällen heftiger Bauchschmerzen, die von Erbrechen und im allgemeinen von schmerzhaft angeschwollenen Gelenken begleitet seien. Sondra stand vor einem Rätsel: einzeln genommen konnten die Symptome auf alle möglichen Krankheiten hinweisen; zusammengenommmen waren sie ihr unerklärlich.
»Nehmen Sie Blut ab, bitte«, sagte sie zur Schwester, während sie der jungen Frau aufhalf. »Und lassen Sie im Krankensaal ein Bett für sie richten.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Derry, hinter dem Vorhang hervorkommend.
»Wieso nicht? Das Mädchen muß beobachtet werden. Vielleicht wird eine Operation notwendig.«
»Nein.«
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»Aber Sie haben sie doch noch nicht einmal angesehen.«
Derry wandte sich der Schwester zu. »Nehmen Sie ihr aus der Fingerspitze ein paar Tropfen Blut ab, bitte. Auf ein
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