Herzflimmern
Blick wanderte zur Nachbarhütte. Die Tür war geschlossen. Sie war noch nicht herausgekommen.
Er nahm sich eine neue Zigarette und dachte, während er den blauen Rauch in die Luft blies, an Sondra Mallone. Sie hatte auf diese Safari mitgehen wollen. Darüber waren sie am Vortag kräftig aneinandergeraten. Sondra wollte endlich mit auf die Runden, und Derry war der Meinung, dazu wäre sie noch nicht weit genug. Es war nur einer von vielen Zusammenstößen gewesen, die sie in den vergangenen vier Monaten gehabt hatten, seit Sondra kurz nach ihrer Ankunft Derry vorgeworfen hatte, für den Amokläufer aus Voi nicht genug getan zu haben. Der Mann war von seiner Familie abgeholt worden und einen Tag später gestorben. Sondra hatte kein Blatt vor den Mund genommen und erklärt, irgend etwas hätte man im Missionskrankenhaus für ihn tun müssen. Auf Derrys Frage, was denn ihrer Meinung nach angemessen gewesen wäre, hatte sie allerdings keine Antwort gewußt.
Sondra Mallone, sagte sich Derry, litt an übertriebenem Eifer. Sie meinte, sie müßte die Welt retten. Derry konnte zwar nicht umhin, ihren Enthusiasmus und ihre Hingabe zu bewundern, doch sie hatte von der Praxis keine Ahnung. Sie lebte immer noch in einer anderen Welt und konnte sich nicht in die Eingeborenen hineinversetzen. Sie hielt stur an ihren modernen wissenschaftlichen Arbeitsmethoden fest und zeigte mangelnde Flexibilität, wenn sie glaubte, den afrikanischen Eingeborenen zwingen zu können, an einem einzigen Tag Jahrhunderte der Evolution zu überspringen.
Ein ständiger Streitpunkt zwischen Derry und Sondra war die Frage der Keimfreiheit. Sie glaubte Derry nicht, daß die Eingeborenen eigene Abwehrkräfte entwickelt hatten, und versuchte ständig, den Leuten die Grundprinzipien der Hygiene zu erklären.
Krach hatte es auch wegen der Verpflegung der Patienten in dem kleinen Krankenhaus gegeben. Sondra hatte mit Entsetzen festgestellt, daß viele Patienten von ihren Familien verköstigt wurden, die jeden Tag das Essen brachten. Sie hatte Derry zu überreden versucht, die Speisen für die Patienten nach den Grundsätzen moderner Ernährungswissenschaft in der Missionsküche zubereiten zu lassen, und Derry hatte ihr klarzumachen versucht, daß Wissenschaftlichkeit in dieser Welt nicht viel taugte.
»Sie erholen sich in einer Umgebung, die ihnen vertraut ist, viel besser«, hatte er ihr erklärt. »Das gleiche gilt für die Nahrung. Wenn ihr Essen so zubereitet ist, wie sie es gewohnt sind und ihnen von Familienangehörigen gebracht wird.«
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Ein wirklich ernstes Problem war die mangelnde Bereitschaft der Schwestern, mit Sondra zusammenzuarbeiten. Die Schwestern stellten Sondras Anweisungen in Frage, führten nichts aus, ohne sich vorher bei Derry oder Alec rückversichert zu haben; häufig ignorierten sie Sondras Befehle ganz und taten einfach, was sie selber für richtig hielten. Derry war bereit zuzugeben, daß der Umgang mit den Schwestern nicht immer ganz einfach war; sie verrichteten die ihnen aufgetragenen Arbeiten gern auf ihre eigene Art und in ihrem eigenen Tempo. Aber noch nie hatten sie sich den Anweisungen der vorübergehend auf der Mission stationierten Ärzte widersetzt. Im Gegenteil, häufig halfen sie, indem sie die Ärzte über Eigenheiten dieses oder jenes Stammes aufklärten oder als Vermittlerinnen einsprangen, wenn man aus Unwissenheit gegen einen Stammesbrauch verstoßen hatte. Sondra jedoch ließen sie einfach hängen. Als Folge davon hatten sich mehrmals problematische Situationen ergeben.
Wie hätte er unter diesen Umständen daran denken können, sie auf Runde in den Busch zu schicken?
Sondra Mallone war Derry ein Rätsel. Warum war sie hierher gekommen? Jeder Arzt, der bisher auf die Missionsstation gekommen war, hatte unter dem einen Arm das Stethoskop und unter dem anderen die Bibel getragen. Sondra nicht. Sie war, soweit er feststellen konnte, nicht religiös und verspürte allem Anschein nach keine Neigung, irgend jemanden zum christlichen Glauben zu bekehren. Ihr Engagement galt nicht Jesus, sondern Afrika. Das wunderte Derry, aber es gefiel ihm auch. Mochten sie sich noch so oft in die Haare geraten, mochte sie seine Geduld auf eine noch so harte Probe stellen, ihre offenkundige Liebe zu Afrika söhnte ihn immer wieder mit ihr aus.
Denn Derry selber war Afrika tief verbunden. In Kenia geboren, hatte er seine ersten Atemzüge in der reinen, klaren Luft Nairobis getan. Seine Amme war eine Kikuyu Frau gewesen, die
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