Herzhämmern
braucht es Fachleute«, sagt er steif.
Meine Mutter erlöst mich endlich. »Duschen, Martina!«, kommandiert sie und bringt mich weg. Sie hat eine Decke über den Beifahrersitz gelegt und will, dass ich einsteige.
Aber ich bleibe am Auto stehen. Ich suche nach den richtigen Worten. Es ist nicht einfach, ihr zu erklären, was ich jetzt tun muss.
Sie glotzt mich an, als wäre ich geistesgestört.
Als sie es begriffen hat, schreit sie mich an und will mich eigenhändig ausziehen, vor allen Leuten, wenn es sein muss, aber nie, niemals wird sie mir erlauben, in das Dreckloch zurückzukriechen. Sie hat angeblich eine Nacht lang alle Schrecken ihres Lebens noch einmal durchlitten, sie sei eine alte Frau geworden, behauptet sie, und das ist lächerlich, denn sie wirkt in ihrem Zorn jünger als ich. Ihre Sommersprossen glühen.
»Mama«, sage ich, »du kannst brüllen, so viel du willst, ich muss zu Bonni. Ich hab’s dir erklärt, ich bin verantwortlich, und wenn du so lange allein da unten sitzen müsstest, würdest du auch durchdrehen, ich darf ihn nicht mehr länger warten lassen, er stirbt noch vor Angst. Du könntest aber mitkommen … Mama? Bitte komm mit! Sonst muss ich Carsten Siebert fragen und das tu ich nicht gern.«
Meine Mutter klappt den Mund auf und zu, sie sucht nach einem Argument und findet keines, und während ich noch warte, sehe ich zwei Vogelscheuchen aus dem Haus kommen. Bei näherem Hinsehen sind es Shelley und Ecke, sie haben Hosen und Jacken vom Bauern an, der ein Koloss ist. Zu einem Grinsen reicht es nicht, weder bei Ecke noch bei Shelley. Ihre Gesichter sind flüchtig gewaschen und schauen blass aus den Lehmrändern heraus. Auf Eckes Rücken ist eine Wolldecke festgebunden und Shelley trägt einen abgewetzten Rucksack.
»Heißer Tee für Bonni und etwas zu essen«, erklärt er und bewegt den Rucksack. Er kaut wie Ecke im Gehen an einem Brot und bleibt nicht eine Sekunde stehen - vielleicht wegen meiner Mutter, sie hat ihm bestimmt einen Schrecken eingejagt.
»Ich komme mit«, sage ich und schließe mich auch schon an.
»Wartet!«, faucht meine Mutter. Dann läuft sie zu Carsten Siebert und verlangt von ihm, dass er ihr seine lehmverschmierten Klamotten abtritt. »Aus denen musst du sowieso raus«, höre ich sie sagen.
Von der Feuerwehr bekommen wir Stablampen, Ersatzbatterien und ein Seil.
»Bringt den Jungen raus, wenn ihr könnt, und passt auf, dass euch nichts passiert«, sagt der Bauer in barschem Ton. »Hier ist schon genug los.« Er zeigt mit einer Kopfbewegung auf die Leute, und ich sehe, dass er uns alle zum Teufel wünscht.
Er und seine Frau, konnte ich dem Geflüster entnehmen, sind zwar stolz darauf, eine gefährliche, in Fachkreisen bekannte Höhle zu besitzen, aber sie wünschen sich keine Publicity. Sie benützen den Eingangsbereich der Höhle zum Lagern von Obst und Getränken und kämen gar nicht auf den Gedanken, weiter hineinzukriechen.
Die Bäuerin sagt zu ihren beiden kleinen Jungen, die auch herumstehen und gespannt unsere Vorbereitungen mitverfolgen: »Da seht ihr, was passiert!Wehe, wenn ich einen von euch einmal erwische!«
»Das wird viel nützen«, schnaubt jemand belustigt.
Eine Frau meint, an die Bauersleute gewandt: »Ihr bringt schon noch eine Tür mit Schloss an!«
Ecke lehnt den angebotenen Feuerwehrhelm unwirsch ab. »Ich geh voran«, sagt er zu uns. Seine Stimme ist tonlos, und er macht ein Gesicht, als wäre Bonni schon gestorben.
Shelley flüstert mir zu: »Er hat gerade mit seinen Eltern telefoniert und ihnen alles gebeichtet. Die werden bald anrücken.«
»Oh …! Ja, dann …«, hauche ich.
»Warum lässt man denn die jungen Leute noch einmal da rein, die sind doch völlig erschöpft!«, ruft jemand.
Ich sehe Shelleys knappes Lächeln. Als er meinen Blick auffängt, vertieft es sich.
»Bist du völlig erschöpft, Shelley?«, flüstere ich.
»Nicht die Spur. Aber du müsstest es sein, oder?«
»Das ist ja das Komische«, sage ich, »eben nicht! Ich halte mehr aus als ein Pferd!«
»Hast du etwas gegessen und getrunken?«
»Klar«, sage ich.
Er nickt mir zu und über die Brücke zwischen unseren Augen trippelt viel Ungesagtes.
Jetzt ist endlich auch meine Mutter bereit. Sie sieht allerdings nicht wie meine Mutter aus. Zumindest würde ich sie in dem Aufzug nicht erkennen, wenn ich ihr irgendwo begegnen würde. Aber als sie sich Ecke anschließt und ich hinter ihr die Höhle betrete, weiß ich, dass sie in jeder Verkleidung meine
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