Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch
dieselben Sachen, die ich schon in der Clairemont High gelernt habe, nur dass ich jetzt auch für den Kurs »Französisch für Anfänger« angemeldet bin.
Toll. Französisch für Anfänger. Wahrscheinlich zusammen mit den Erstklässlern. Ich bin begeistert.
Mom meint, ich solle das Ganze positiv sehen und zwar schnell, aber sie muss ja auch nicht ihre fantastische beste Freundin Bridgette zurücklassen. Oder ihren fantastischen Job im Royal Midtown Multiplex-Kino. Oder Toph, den fantastischen Typen im Royal Midtown Multiplex-Kino.
Und ich kann immer noch nicht glauben, dass sie mich von meinem Bruder Sean trennt. Er ist erst sieben und viel zu klein, um nach der Schule allein zu Hause bleiben zu können. Ohne mich wird er wahrscheinlich von diesem unheimlichen Typen gekidnappt, der in unserer Straße wohnt und schmutzige Coca-Cola-Handtücher in den Fenstern hängen hat. Oder Seany isst aus Versehen irgendwas, wo Allurarot AC drin ist, und seine Kehle schwillt zu und niemand ist da, der ihn ins Krankenhaus fahren kann. Vielleicht stirbt er sogar. Und bestimmt dürfte ich nicht mal zu seiner Beerdigung nach Hause fliegen. Ich müsste nächstes Jahr allein auf den Friedhof gehen und feststellen, dass Dad so einen scheußlichen Granitengel ausgesucht hat, der über Seans Grab prangt.
Und ich hoffe, Dad erwartet jetzt nicht von mir, dass ich mich um einen Studienplatz in Russland oder Rumänien bemühe. Ich träume nämlich davon, Filmtheorie in Kalifornien zu studieren. Ich möchte die größte Filmkritikerin unseres Landes werden. Eines Tages werde ich zu jedem Festival eingeladen und habe eine wichtige Zeitungskolumne, eine coole Fernsehsendung und eine unglaublich beliebte Website. Bis jetzt habe ich nur die Website und die ist nicht sonderlich beliebt. Noch nicht.
Ich brauche nur etwas mehr Zeit, um daran zu arbeiten, das ist alles.
»Anna, es ist Zeit.«
»Was?« Ich blicke von meinen Shirts auf, die ich zu perfekten Quadraten zusammenfalte.
Mom sieht mich durchdringend an und fummelt an dem Schildkrötenamulett, das an ihrer Halskette hängt, herum. Mein Vater, der ein pfirsichfarbenes Polohemd und weiße Bootsschuhe trägt, starrt aus meinem Wohnheimfenster. Es ist schon spät, aber auf der anderen Straßenseite schmettert eine Frau irgendwas aus einer Oper.
Meine Eltern müssen in ihre Hotelzimmer zurück. Sie fliegen beide morgen früh zurück.
»Oh.« Ich umklammere das Shirt in meinen Händen etwas fester.
Dad macht einen Schritt vom Fenster weg und ich stelle erschrocken fest, dass seine Augen feucht sind. Die Vorstellung, dass mein Vater – selbst wenn es sich um meinen Vater handelt – den Tränen nah ist, schnürt mir aus irgendeinem Grund die Kehle zu.
»Tja, Kleine. Ich glaube, jetzt bist du ganz erwachsen.«
Mein Körper ist wie erstarrt. Dad drückt meine steifen Glieder stürmisch an sich und hält mich so eng umschlungen, dass ich Angst bekomme. »Pass auf dich auf. Sei fleißig und schließe ein paar Freundschaften. Und hüte dich vor Taschendieben«, fügt er hinzu. »Manchmal sind sie zu zweit unterwegs.«
Ich nicke in seine Schulter hinein und er lässt mich wieder los. Und dann ist er weg.
Meine Mutter bleibt noch. »Du wirst ein wunderbares Jahr hier verleben«, sagt sie. »Da bin ich mir ganz sicher.« Ich beiße mir auf die Unterlippe, damit sie nicht zittert, und Mom schließt mich schwungvoll in die Arme. Ich versuche zu atmen. Einzuatmen. Bis drei zu zählen. Auszuatmen. Ihre Haut duftet nach Grapefruit-Bodylotion. »Ich ruf dich sofort an, wenn ich nach Hause komme«, verspricht sie.
Nach Hause. Atlanta ist nicht mehr mein Zuhause.
»Ich hab dich lieb, Anna.«
Jetzt fließen meine Tränen. »Ich hab dich auch lieb. Pass für mich gut auf Seany auf.«
»Na klar.«
»Und auf Captain Jack«, sage ich. »Achte drauf, dass Sean ihn immer füttert und seine Streu wechselt und seine Wasserflasche auffüllt. Und er soll ihm nicht zu viele Leckerlis geben, sonst wird er zu dick und kommt nicht mehr aus seinem Iglu. Aber mindestens ein paar am Tag, weil er das Vitamin C noch braucht und das Wasser nicht trinkt, wenn ich diese Vitamintabletten benutze …«
Sie löst sich aus der Umarmung und steckt mir meine blondierte Haarsträhne hinters Ohr. »Ich hab dich lieb«, wiederholt sie.
Und dann tut meine Mutter etwas, was ich selbst nach all dem Papierkram, den Flugtickets und den Vorträgen nicht habe kommen sehen. Was in einem Jahr sowieso passiert wäre, wenn ich aufs
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