Herzklopfen auf Französisch - Perkins, S: Herzklopfen auf Französisch
College gegangen wäre, aber auf das ich trotz all der Tage, Monate oder Jahre, die ich es vielleicht herbeigesehnt habe, nicht vorbereitet bin, als es tatsächlich passiert.
Meine Mutter geht. Ich bin allein.
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Kapitel zwei
I ch spüre, wie sie mich überkommt, aber ich kann nichts dagegen tun.
PANIK .
Sie haben mich allein gelassen. Meine Eltern haben mich tatsächlich allein gelassen! IN FRANKREICH !
Inzwischen ist es in Paris merkwürdig still. Selbst die Opernsängerin hat für heute Schluss gemacht. Ich darf jetzt bloß nicht durchdrehen. Die Wände hier sind dünner als Heftpflaster. Wenn ich also einen Nervenzusammenbruch kriege, bekommen meine Nachbarn – meine neuen Mitschüler – alles mit. Ich glaube, ich muss mich übergeben. Ich werde diese komische Olivenpaste erbrechen, die ich zum Abendbrot gegessen habe, alle werden es mitbekommen und niemand wird mich einladen, den Pantomimen zuzusehen, wie sie aus ihren unsichtbaren Kisten schlüpfen, oder was immer die Leute hier sonst in ihrer Freizeit tun.
Ich renne zu meinem Sockelwaschbecken, um mir Wasser ins Gesicht zu spritzen, aber es schießt heraus und spritzt mir stattdessen aufs Shirt. Jetzt weine ich noch heftiger, weil ich meine Handtücher noch nicht ausgepackt habe und mich nasse Sachen an diese bescheuerten Wildwasserbahnen im Freizeitpark erinnern, in die mich Bridgette und Matt immer gezerrt haben. Das Wasser dort ist nicht blau, riecht wie Farbe und wimmelt von Millionen von Bakterien. O Gott. Was, wenn hier Bakterien im Wasser sind? Darf man französisches Wasser überhaupt trinken?
Armselig. Ich bin wirklich armselig.
Wie viele Siebzehnjährige würden sonst was tun, um von zu Hause wegzukommen? Meine Nachbarn erleiden keine Nervenzusammenbrüche. Hinter ihren Schlafzimmerwänden dringt kein Weinen hervor. Ich schnappe mir ein Shirt vom Bett, um mich abzutrocknen, als mir die Lösung einfällt. Mein Kopfkissen. Ich lasse mich mit dem Gesicht nach unten in den Lärmschutz fallen und höre gar nicht mehr auf zu schluchzen.
Jemand klopft an meine Tür.
Nein. Das ist bestimmt nicht meine Tür.
Da ist es wieder!
»Hallo?«, ruft ein Mädchen vom Flur. »Hallo? Alles in Ordnung?«
Nein, nichts ist in Ordnung. Hau ab. Aber sie ruft noch einmal, sodass ich mich vom Bett aufraffen und die Tür öffnen muss. Eine Blondine mit langen, dichten Locken wartet davor. Sie ist groß und kräftig, aber nicht kräftig, als wäre sie übergewichtig, sondern kräftig wie eine Volleyballspielerin. Ein diamantartiger Nasenring glitzert im Flurlicht. »Alles okay?« Ihre Stimme klingt einfühlsam. »Ich bin Meredith, ich wohne nebenan. Waren das deine Eltern, die gerade gegangen sind?«
An meinen verquollenen Augen kann sie erkennen, dass die Antwort Ja lautet.
»Ich hab an meinem ersten Abend auch geheult.« Sie neigt den Kopf zur Seite, denkt einen Augenblick nach und nickt dann. »Komm mit. Chocolat chaud .«
»Eine Schokoladenshow?« Warum sollte ich mir eine Schokoladenshow ansehen wollen? Meine Mutter hat mich hier ausgesetzt, ich habe schreckliche Angst davor, mein Zimmer zu verlassen, und …
»Nein.« Sie lächelt. » Chaud . Heiß. Heiße Schokolade. Ich kann uns in meinem Zimmer welche machen.«
Oh.
Ich folge ihr unwillkürlich. Meredith hält mich mit der Hand zurück wie ein Schülerlotse. Sie trägt Ringe an allen fünf Fingern. »Vergiss deinen Schlüssel nicht. Die Tür fällt hinter dir zu und du kommst ohne nicht mehr rein.«
»Ich weiß.« Ich ziehe die Halskette unter meinem Shirt hervor, um es ihr zu beweisen. Ich habe meinen Schlüssel während der Seminare in Lebenskunde, die an diesem Wochenende für neue Schüler Pflicht waren, drangehängt. Da haben sie uns erklärt, wie leicht es ist, sich selbst auszusperren.
Wir gehen in ihr Zimmer. Es verschlägt mir den Atem. Es hat dieselbe unmögliche Größe wie meines – zwei mal drei Meter –, den gleichen Minischreibtisch, Minikommode, Minibett, Minikühlschrank, Miniwaschbecken und Minidusche (keine Minitoilette, denn die sind für alle draußen auf dem Gang). Aber … anders als in meinem sterilen Käfig ist hier jeder Zentimeter Wand und Decke mit Postern, Bildern, glänzendem Geschenkpapier und knallbunten, französisch beschrifteten Flyern bedeckt.
»Wie lange bist du denn schon hier?«, frage ich.
Meredith reicht mir ein Papiertaschentuch, und ich putze mir die Nase – ein furchtbares Tröten wie von einer wütenden Gans –, aber sie zuckt weder mit der
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