Herzraub
müssen, dachte er. Aber wie? Celia in ihrem maßlosen Hass hatte ihre Treffen immer wieder verhindert. „Sascha muss für die Schule lernen“, hieß es permanent, „Sascha begleitet mich auf eine Tournee“, und später, als der Junge älter war: „Sascha ist für ein Stipendium in den USA“. Nein, die Adresse könne sie ihm nicht geben, das lenke Sascha nur vom Studieren ab.
Gut, er war fremdgegangen, und das nicht nur einmal. Aber ihre Reaktion darauf war doch sehr überzogen, ja geradezu pathologisch gewesen. Eine Osswald betrügt man nicht. Er sah sie vor sich, wie sie arrogant das Kinn hob und ihn aus ihren grauen Augen fixierte, kalte Wut und Vernichtung im Blick. Nein, die Scheidung hatte ihr nicht gereicht. Sie hatte Rache gebraucht, hatte ihn bis in den letzten Winkel seiner Existenz zerstören müssen, um aus dem tiefsten Tal der Demütigung als Siegerin hervorzugehen.
In der Presse hatte man sie zuerst tränentriefend bemitleidet: CELIA OSSWALD – BELOGEN UND BETROGEN. Das konnte natürlich nicht so bleiben, und sie hatte sich was einfallen lassen. Wie allerdings die Tütchen mit dem Kokain in seine Wohnung gekommen waren, war bis heute rätselhaft und nie geklärt worden. Aber ihre Behauptung in dem millionenfach verkauften Boulevard-Blatt hatte genügt: MEIN EX-MANN NIMMT RAUSCHGIFT. Die Polizei war erschienen, man hatte die Tütchen gefunden und eine Haarprobe von ihm genommen. Die war negativ ausgefallen. Aber das hatte ihm nichts mehr genützt. Sein Ruf war irreparabel beschädigt worden, man hatte ihm – trotz seines Riesenerfolges in der Serie ›Kommissar Sommerkamp‹ – keine Rollen mehr gegeben, und nun schlug er sich seit Jahren als Synchronsprecher durch.
Claus Saalbach ballte die Fäuste. Wieder loderte der Hass in ihm hoch. Dabei war Celia doch tot. Sein Hass konnte sich zur Ruhe legen, die Lebensphase ›Celia Oss-
wald‹ konnte er zuschlagen wie ein ausgelesenes Buch. Claus Saalbach entspannte die Fäuste und sah auf seine Hände. Erstaunlich, dass er so hatte hassen können. Noch nie zuvor im Leben hatte er jemanden gehasst.
Er blickte auf seinen atmenden Sohn. Leben, atmen, hoffen – er durfte jetzt nichts Negatives in diesen Raum lassen.
Kommissar Danzik nahm sich ein Bronchialbonbon aus der Tüte und blickte aus dem Bürofenster. Draußen zerrte stürmischer Regen die Blätter von den Bäumen, das Licht dieses trüben Tages hatte sich im Himmel versteckt. Auf dürrem Geäst hockte ein schwarzer Vogel – eine letzte Spur, bevor sich der Winter kalt über alles Leben legen würde.
Er räusperte tief durch. Hoffentlich würde das Kratzen im Hals wieder verschwinden, sich nicht etwa zu einem Infekt auswachsen. Na, dann gut Nacht, wenn ihn außer Fieber wieder dicker Schleim behindern würde, der ihm die Luft nahm und zum Husten zwang. Seine allergisch und entzündlich geschwächte Lunge war nicht mehr die beste, hatte der Arzt gesagt, und ihm alle möglichen Maßnahmen genannt, die er alle nur selten befolgte. Immerhin war die Lunge mit ihren unzähligen Bläschen so groß wie ein Tennisplatz, hatte er mal gelesen, und so würde sie wohl bis zu seinem Lebensende reichen. Oder etwa nicht? Er dachte wieder an Celia Osswald. Ein fremdes Herz – Wahnsinn! Würde er, Werner Danzik, vielleicht mal verzweifelt auf eine neue Lunge warten?
Er richtete sich auf, bog seinen runden Rücken durch und ging zur Kaffeemaschine. Kaffee machte angeblich die Bronchien weiter. Den Dienstsport hatte er auch wieder geschwänzt. Torsten Tügel, sein junger Kollege, hatte ihn schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht. Er befühlte seine Waffe. Ein schlechtes Zeichen, wenn man nicht mehr laufen, sondern nur noch schießen konnte.
Werner Danzik ging zum Fenster und begoss die Grünlilie. Der Fall Osswald zirkulierte unaufhörlich durch seinen Kopf, diffus und verwirrend, ohne dass er wusste, an welchem Punkt er seinen geistigen Haken einschlagen sollte.
Er griff erneut zu der Zeitung. Das überregionale Boulevard-Blatt hatte den Mordfall sogar zur Schlagzeile erhoben: CELIA OSSWALD – ERMORDET UND GESCHÄNDET. Rote Balken, schwarzer Grund, die Schrift 5 cm hoch. Rechts neben den Schlagzeilen das Foto: Celia Osswald in schwarzer Richterrobe, ihre letzte große Rolle, die weißblonden Haare wie immer zur zementfesten Frisur gemeißelt. Das ›Geschändet‹ führte natürlich sofort auf eine falsche, erwünschte Spur und würde diese Ausgabe zum Millionen-Seller machen. Auf einer ganzen
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