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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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gegen seine Schläfen, als wolle er das schreckliche innere Bild aus seinem Schädel drücken. Gleichzeitig wusste er, dass das nicht möglich war, und ihm traten Tränen in die Augen. „Ich werde die ganze Welt darüber aufklären, was es mit diesen angeblich christlichen Spenden auf sich hat. Wozu arbeite ich bei den Medien? Ich werde das publik machen …“
    Doktor Rapp war aufgestanden und fasste ihn sanft am Arm. „Sie stehen ja noch immer unter Schock, Herr Saalbach. Kommen Sie, ich gebe Ihnen eine Beruhigungsspritze.“
    „Lassen Sie mich sofort los! Ich bin zum Glück nicht Ihr Patient. Das alles hat noch ein Nachspiel. Sie hören noch von mir. Ich werde meinen Anwalt einschalten.“
    Doktor Rapp ging mit zur Tür. In seinen kleinen Augen funkelte es gefährlich. „Sind Sie sicher, dass Sie noch zurechnungsfähig sind?“
    Saalbach wandte sich wortlos ab. Während er wie ein Blinder nach der Klinke tastete, traf ihn als Letztes eine Ladung Qualm an der Wange.
    Er schwankte durch die Gänge, benommen vor Schwäche und Wut. Als er am Dienstzimmer vorbeikam, trat eine der Schwestern auf ihn zu.
    „Sie sind doch Herr Saalbach …“
    „Ja.“
    „Einen Moment bitte.“ Die Schwester kam zurück und hielt ihm einen blauen Müllsack entgegen.
    „Noch einmal mein herzliches Beileid.“
    „Was ist das?“
    „Die Reste – die Kleidung von Ihrem Sohn.“
    Saalbach sah sie entsetzt an. Aber da hatte er den Sack schon in der Hand. Während er den Gang hinunterging, nahm er den Sack von der Hand in den Arm. Erst zu Hause machte er ihn auf. Er fand Hemd, Hose und Pullover, alles zerschnitten, eine Socke und einen Schuh.
     

16
    Die NZO-Gruppe (›Nein zur Organspende‹), die sich aus bereuenden Spenderfamilien sowie einigen Fördermitgliedern zusammensetzte, traf sich alle zwei Monate im Gemeindehaus der Christus-Gemeinde in Hamburg-Othmarschen.
    Ausgerechnet Othmarschen, dachte Saalbach, also am anderen Ende der Stadt. Aber er würde das auf sich nehmen, und wenn es noch weiter gewesen wäre. Heiner hatte den Kopf geschüttelt und mitleidig gelächelt, und dann hatte er wieder seinen Spruch losgelassen: „Tu, was du tun musst.“ Und ob er das tun musste. Er erhoffte sich viel von dieser Gruppe. Wenn er auch etwas Unverzeihliches, nicht mehr Änderbares getan hatte – irgendwie musste es eine Linderung für seinen Gewissensschmerz geben, irgendeine Möglichkeit des Handelns, bei der etwas Gutes die Lebenswaage wieder in Balance bringen würde. Ja, er würde etwas Gutes tun. Dann würde ihm sein Sohn vielleicht vergeben, auch noch nach seinem Tode. Oder Gott. Warum dachte er jetzt an Gott? Er war doch ein Ungläubiger. Vielleicht nur Erziehungssache. Oder steckt der Glaube in jedem von uns und brach jetzt, in der schlimmsten Grenzsituation des Lebens, endlich durch?
    Claus Saalbach bog in die Elbchaussee ein, gönnte dem Fluss und den Schiffen aber keinen Blick. In angespannter Haltung jagte er die Straße hinunter, ließ rechts den Hohenzollernring, dann die Liebermannstraße hinter sich. Jetzt musste die Abzweigung kommen. Halbmondweg. Er verließ die Hauptstraße und erreichte kurz darauf ein großes Parkgelände. Mitten drin auf einem Hügel erhob sich die Kirche, dicht daneben erstreckte sich ein übereck laufender Flachbau. Saalbach parkte und stieg die wenigen Meter zu dem breit verglasten Gebäude hinauf.
    Ein Mann in einem grauen Kittel kam ihm entgegen.
    „Geht’s hier zur NZO-Gruppe?“, fragte Saalbach.
    „Links. Erster Raum Erdgeschoss.“
    Saalbach öffnete vorsichtig die Tür und blickte in eine Runde von zirka zehn Personen, die einen langen Kaffeetisch mit mehreren, in gleichmäßigem Abstand platzierten Kuchentellern umrahmten. Eine Dame in lachsfarbener Bluse und schwarzem Satinblazer, zirka Mitte vierzig, sprang auf und eilte ihm mit charmantem Lächeln entgegen.
    „Herr Saalbach!? Ich bin Brigitte Lasbeck. Herzlich willkommen!“
    „Ja, ich hatte angerufen.“
    Saalbach starrte sie an und ließ ihr Gesicht nicht mehr los. Eine attraktive Frau. Ein geranienrot geschminkter Mund, nicht zu voll und nicht zu schmal, graublaue strahlende Augen hinter einer feinrandigen Goldbrille. Und er hatte gedacht, dass hier nur verhärmte Gestalten rumsitzen würden. Umhüllt von einer Respekt gebietenden Trauer, die er mit ihnen teilen würde. Er nahm die Schultern zurück und war erleichtert, dass er sich so gepflegt angezogen hatte. Allerdings in Schwarz. Schwarzer Anzug mit silberner

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