Herzraub
ein. Sein Blick glühte. „Ich bin der Meinung, man sollte sich sämtliche Organe von den Transplantierten zurückholen.“
„Tja, dann müsste man sie ja schon umbringen“, sagte Brigitte Lasbeck. „Und soweit willst du doch wohl nicht gehen?“ Sie lächelte fast amüsiert.
Ebeling ging nicht darauf ein. „Ich will meiner Tochter ihre Organe wiedergeben und sie noch einmal begraben – richtig begraben.“
Claus Saalbach sah verwirrt in die Runde. Aber bevor er etwas erwidern konnte, hatte Brigitte Lasbeck schon einem etwa 60-jährigen Mann im grünen Pullunder zugenickt.
„Jochen Hahn. Meine 83-jährige Mutter hatte einen Schlaganfall und lag im Koma. Man stellte dann Hirnversagen fest und bat mich um ihre Nieren. Sie sagten, die Dialyse sei für die Nierenkranken die Hölle, und bei meiner Mutter käme es doch nicht mehr drauf an … “ Herr Jahn senkte den Blick und zerkrümelte seinen Kuchen. „Ich verstehe bis heute nicht, wie ich das meiner Mutter antun konnte. Ich, ihr einziges Kind …“
Saalbach schüttelte den Kopf. „Unfassbar. Gibt es denn keine Altersgrenze? Ich meine – nach oben?“
„Gibt es nicht“, sagte Brigitte Lasbeck. „Auch nach unten nicht. Von Kind zu Kind – da stimmen so manche Eltern zu. Und auch wenn Sie behindert sind, schützt das nicht.“
Hartmut Ebeling drehte sich zu Saalbach herum. „Man traktiert die Angehörigen solange, bis sie eben … erweiterte Zustimmungslösung heißt das in unserem Gesetz. Wenn der Sterbende keinen Ausweis hatte, dann entscheidet die Familie nach seinem mutmaßlichen Willen.“
„Ja, freie Entscheidung“, sagte die Korpulente ironisch. Ihr Mann hatte eine Gehirnblutung erlitten, ›im tiefsten Koma‹ gelegen, aus dem es kein Zurück mehr gab, und so hatte sie sich dessen Leber abringen lassen. „Ich konnte danach überhaupt nicht mehr arbeiten. Ich musste meinen Beruf als Lehrerin aufgeben und bin jetzt frühpensioniert.“
Nachdem noch drei Frauen und ein Mann gesprochen hatten, schloss sich der Kreis bei Brigitte Lasbeck.
Sie lächelte dem Gast zu. „Meine Geschichte habe ich Ihnen ja schon am Telefon erzählt.“
„Ja, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Ihnen allen danke ich.“ Saalbach neigte sich leicht vor. „Und was machen Sie nun konkret in der Gruppe?“
„Wir klären auf, was bei der Explantation passiert. Hauptsächlich übers Internet. Heute habe ich einen Entwurf für einen Ausweis mitgebracht. Für einen Nein-Ausweis. Ein ›Nein‹ zur Organspende. Jeder kann sich das drucken lassen und bei sich tragen.“
Sie verteilte die Entwürfe und sah Claus Saalbach fast verführerisch an. „Und Sie kommen wieder?“
„Gern.“ Er erwiderte ihren Blick und spürte selbst, dass so etwas wie Leben in ihm aufstrahlte. Flüchtig zogen all die Babsis, Evis und Lindas durch sein Gehirn, deren Anrufe er auf dem Band hatte auflaufen lassen. Solange, bis sie aufgegeben und sich für immer verabschiedet hatten.
Aber diese Brigitte Lasbeck mit dem elegant gefönten blonden Haar war ein anderes Kaliber. Eine Frau mit Stil und Klasse. Er wunderte sich über sich selbst, dass dies für ihn kein Trauer-Nachmittag geworden war. Natürlich würde er wiederkommen.
17
Werner Danzik hatte wieder einen seiner Niesanfälle.
„Gesundheit!“, rief Torsten Tügel.
„Dan – “ Erneut folgte ein Niesen.
„Danke.“ Danzik wunderte sich, dass er jetzt, im pollenlosen Oktober, wieder allergische Ausbrüche hatte. Aber er war nicht unglücklich dabei. Vielleicht gehörte Laura Flemming ja auch zu den Niesanfälligen, immerhin war sie mit einem allergischen Schock auf der Intensiv gelandet. Aber er musste die Serie jetzt stoppen, er hatte zu arbeiten. Er holte sich ein Glas Wasser und spülte eine Zyrtec hinunter.
„Du wolltest wissen, was ich über die Imhoffs rausbekommen habe“, sagte Tügel. „Also, die kannst du vergessen. Sie leben zwar ziemlich auf Sparflamme, aber der Mann hat ein solides Einkommen.“
„Na, gut, dann ist die Schwester aus dem Schneider. Sie kam mir nur extrem gefühlskalt vor.“
„Ja, aber gefühlskalt heißt nicht automatisch Mörderin.“
„Hast ja Recht. Das war ein ergebnisloser Nebenweg.“ Danzik musste wieder niesen, die Tablette wirkte erst nach einer halben Stunde. „Also: abgehakt. Und was hat deine Archiv-Recherche ergeben?“
Tügel zog ein Blatt aus dem Stapel. „Die Anruferin, die Celia Osswald mit dem Tod bedroht hat, um quasi das Herz zurückzuholen, heißt Marianne
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