Herzraub
an seiner Sonnenbrille. „Lächerlich. So was ist doch kein Mensch wert. Nein, solche Gefühle kenne ich nicht. Ich meine, sie war eine arrogante, selbstgefällige Ziege, ich mochte sie auch nicht. Aber nun bist du sie ja zum Glück los, ich meine, auch als Ex bist du sie los.“
Saalbach machte nur eine abfällige Bewegung. Er lehnte in seinem hohen Ledersessel und drückte seine Hände wie in einem Krampf gegeneinander.
„Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen. Ich hätte auf der Intensivstation bleiben und ihn bis zum Schluss begleiten müssen. Stattdessen habe ich ihn einer Schlächterbande ausgeliefert. Niemals hätte ich meine Zustimmung zu dieser so genannten Spende geben dürfen.“ Claus Saalbach sah seinen Freund mit feuchten Augen an. „Was ist das überhaupt für ein blöder Ausdruck? Spende ist doch was freiwillig Geschenktes, und davon kann ja wohl keine Rede sein. Sascha hat nichts geschenkt, und ich habe auch nichts geschenkt.“
„Ja, es war ein gemeines Unter-Druck-Setzen. Aber unternehmen kannst du jetzt nichts mehr.“
„Doch. Morgen habe ich einen Termin bei Doktor Rapp, der die Explantation bei Sascha durchgeführt hat.“
„Wie hast du das denn geschafft? Man stellt sich doch eher vor, dass die sich auf Teufel komm raus verleugnen lassen.“
Claus Saalbach zeigte ein erstes Lächeln. „Ich hab bei der Sekretärin einen Wahnsinnsaufstand gemacht. Hab gedroht, die ganze Station zusammenzuschreien, Patienten, Besuchern, allen die Wahrheit ins Gesicht zu schreien …“
„Alle Achtung.“ Heiner Wentorf stand auf. „Dann viel Glück. Tu, was du tun musst.“
Am nächsten Morgen saß Claus Saalbach zwischen Gummibäumen und Dieffenbacchia im Wartezimmer von Doktor Rapp. Er hatte kleidermäßig seine Contenance wieder gefunden, fühlte sich aber unter dem Ansturm widerstreitender Gefühle völlig kaputt. Seine Empörung über die Misshandlung seines Sohnes war eher noch gewachsen, aber Mutlosigkeit und Angst angesichts der übermächtigen Mediziner-Hierarchie lähmten ihn und ließen ihn immer wieder in eine verzweifelte, schwächende Deprimiertheit absacken.
Plötzlich flog die Tür auf. „Herr Doktor Rapp lässt bitten.“ Die Schwester war so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht war, als Eindruck hatte Saalbach nur ihre schnelle Routine aufgenommen.
„Nehmen Sie doch Platz, Herr Saalbach.“ Doktor Rapp bot ihm einen dunklen Ledersessel an, er selbst hatte sich hinter dem Schreibtisch in einem Hochlehner und dickem Zigarrenqualm verschanzt.
„Zigarre?“
„Nein, danke.“ Claus Saalbach sah ihm angewidert ins dicke, gerötete Gesicht.
„Meine Sekretärin sagte mir, es sei sehr dringend, Sie hätten da noch was auf dem Herzen …“
„Allerdings.“ Saalbach straffte sich und bohrte einen Blick in sein Gegenüber. „Was haben Sie mit meinem Sohn gemacht? Warum haben Sie ihn so entstellt? Warum haben Sie ihn zum Recycling-Objekt gemacht?“
Doktor Rapp hob die Hände. „Aber mein lieber Herr Saalbach! Operationen hinterlassen immer Spuren. Nicht umsonst raten wir den Angehörigen, lieber auf der Intensivstation Abschied zu nehmen.“
„Ja, weil Sie die Patienten verunstalten und töten. Ich habe meinen Sohn ja fast nicht wieder erkannt!“
„Nun machen Sie mal halblang. Sie haben der Spende doch selbst zugestimmt.“
„Weil ich im Schock war. Weil ich nicht bei Sinnen war. Weil mich diese Koordinatorin so bearbeitet hat, dass ich nicht mehr aus noch ein wusste!“
„Herr Saalbach.“ Doktor Rapp legte die Fingerspitzen aneinander. „Sie haben doch etwas Gutes getan. Haben Sie das ganz vergessen?“
„Etwas Gutes?“ Saalbachs Ton war inzwischen in ein Schreien übergegangen. „Für ein einziges Organ habe ich zugestimmt, und das bereue ich jetzt bitter. Für ein einziges Organ – mehr nicht.“
„Ja, und das war auch wirklich ein Geschenk der Liebe. Aber wer ein Organ aus Liebe gibt, der gibt doch auch alles, meinen Sie nicht?“
Saalbach blickte sprachlos in das professionelle Maskengesicht. Dann fasste er sich wieder. „Sie haben meinem Sohn etwas Furchtbares angetan. Sie haben ihn bei lebendigem Leibe ausgeweidet und getötet. Dann habe ich ihn als Leiche wieder gesehen. Aber nicht als normale Leiche. Sie haben ihn – Sie haben ihn – zu einem Zombie gemacht!“
Doktor Rapp wiegte schweigend den Kopf.
„Und mir haben Sie genauso Schlimmes angetan. Wie soll ich diesen Anblick je wieder loswerden, wie?“ Saalbach presste die Hände
Weitere Kostenlose Bücher