Herzraub
Unterlassungsaufforderung formuliert, mit der sich die Lasbeck verpflichten sollte, bei jeder Veröffentlichung über das Thema 500 Euro ans Rote Kreuz zu zahlen. Als sie hier wieder in seinem Sprechzimmer aufgekreuzt war, hatte er ihr das Papier in die Hand gedrückt, aber natürlich hatte sie nicht unterschrieben. Für diese Dame mussten sie sich wohl noch was anderes ausdenken …
Doktor Rapp blickte wieder auf den Brief. An gewissen Formalitäten kamen sie trotz allem nicht vorbei. Er griff zum Telefon.
„Nach den OPs um 13.30 Uhr Konferenz bei mir. Doktor Nickel, Doktor Förster, Doktor Sonntag.“
Doktor Förster erschien als erster und setzte sich mit einem Becher Mineralwasser in die Ecke des Ledersofas. Doktor Nickel kam mit Frau Doktor Sonntag, der Anästhesistin, und hielt ihr die Tür auf.
Doktor Rapp saß hinter seinem Schreibtisch und wippte mit der Rückenlehne. Seine Geste zum Platznehmen war mehr ein Befehl als eine Einladung.
„Hier“ – er wedelte mit dem Brief herum – „Herr Saalbach hat juristische Schritte eingeleitet.“
„Herr wer?“, fragte Doktor Nickel.
„Claus Saalbach, der Vater des explantierten Alexander Osswald.“
„Dem Sohn der großen Celia Osswald.“ Frau Doktor Sonntag hatte sich mit übereinander geschlagenen Beinen in einem Sessel drapiert. Ihr Kittel klaffte auseinander und gab den Blick auf eine vollbusige Figur unter einer zu engen Bluse frei.
Doktor Försters feine Hände hielten weiter den Becher umfasst. „Die Mutter transplantiert, der Sohn explantiert – irgendwie tragisch. Eine Strafe des Schicksals.“
„Kommen wir zur Sache.“ Doktor Rapp nahm wieder den Brief hoch. „Saalbach wünscht: eidesstattliche Versicherungen der beiden Hirndiagnostiker, dass sein Sohn definitiv hirntot war, er hat Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet, und der Anwalt will Kopien der Krankenhausakte.“
„Das ist ja unangenehm. Haargenau der gleiche Fall wie bei der Lasbeck.“ Doktor Nickel blickte Rat suchend in die Runde.
Doktor Rapp sah seine beiden Neurologen an. „Sind Sie bereit, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben?“
„Natürlich. Mein Protokoll ist einwandfrei.“ Doktor Nickel lehnte sich zurück.
„Man muss eben nur das Richtige ankreuzen.“ Frau Doktor Sonntags tiefrot geschminkter Mund verzog sich spöttisch. Doktor Nickel überging die Spitze.
„Und Sie, Herr Doktor Förster?“, fragte Rapp.
„Mein Protokoll sieht genauso aus.“
„Na, also. Dann kann ich davon ausgehen, dass Sie die eidesstattliche Versicherung ebenfalls unterschreiben. Der junge Osswald war definitiv hirntot.“
„Wenn er bereits tot war, dann können wir der Anzeige wegen fahrlässiger Tötung ja gelassen entgegensehen. Vielleicht ist es dann nur Störung der Totenruhe?“ Frau Doktor Sonntag blies anhaltend den Rauch ihrer Zigarette aus.
„Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?“, fauchte Rapp.
„Auf gar keiner. Ich mache hier nur meinen Job. Sie sollten nur mit dieser Lügerei aufhören. Mit dieser Zwecklüge vom Hirntod. Als Anästhesistin darf ich Ihnen sagen, dass die Narkoseforschung auch bei tief Bewusstlosen noch Reaktionen festgestellt hat. Das Erlöschen der Schmerzreaktion reicht keinesfalls aus, um jemanden für tot zu erklären. Wir wissen einfach nicht genau, ob noch bestimmte, archaische Empfindungen vorhanden sind.“
„Stimmt. Schließlich ist dieser so genannte Hirntod unsichtbar, wir können ihn nicht beobachten, er tritt nicht plötzlich ein wie der Herztod“, bemerkte Doktor Förster.
„Herrschaft noch mal, ich verbitte mir diese Debatte.“ Doktor Rapp fuhr von seinem Sessel hoch. „Wir tun hier etwas völlig Legales, das Gesetz steht hinter uns. Und damit basta.“
„Warum haben wir dann so viele Schwierigkeiten?“ Frau Doktor Sonntags grüne Augen sahen fast auf ihn hinab.
„Warum, warum …“
„Wir haben Schwierigkeiten. Ich will mal was Ketzerisches sagen. Können wir es nicht einfach lassen, die Hirntoten zu melden? Die meisten Kliniken melden sie doch sowieso nicht.“
„Wir sind verpflichtet zu melden. Wenn wir es nicht tun, ist das ein Straftatbestand.“ Doktor Rapp zündete sich erregt eine Zigarre an.
„Das dürfte in der Praxis nicht angewandt werden“, warf Doktor Förster ein. „Wenn ich meinem Gewissen folge …“
„Jetzt lassen Sie mal Ihr Gewissen beiseite. Unterschreiben Sie nun?“
„Ja.“
„Dann haben wir das geklärt. Die 500-Euro-Pauschale, die Sie für jede Explantation
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