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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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Krawatte.
    „Bitte kommen Sie!“ Brigitte Lasbeck, die die Gruppe leitete, ging mit wiegenden Hüften voran. „Ich denke, wir nehmen Herrn Saalbach in die Mitte.“
    Bereitwillig rückten eine hennagefärbte magere Sechzigerin und ein grauhaariger Mann mit tiefliegenden Augen einen Platz weiter.
    „Danke.“ Saalbach lächelte etwas befangen nach beiden Seiten. Die Rothaarige sah lieb und hochgradig empfindsam aus, der Mann – mit seinem düster-fanatischen Blick – berührte ihn eher unangenehm.
    Brigitte Lasbeck war zum Kopfende des Tisches zurückgekehrt.
    „Also, nochmals herzlich willkommen. Wir freuen uns, dass Sie unsere Arbeit unterstützen wollen. Herr Saalbach ist selbst betroffen, aber vielleicht wollen Sie selbst – “
    Saalbach nickte und sah in die Runde. Die Gesichter sagten ›herzliches Beileid‹, auch wenn es niemand aussprach. Sollte er auch seinen Beruf nennen? Aber mit ›ich‹ anzufangen, schickte sich wohl nicht.
    „Mein Sohn ist mit dem Motorrad verunglückt. Auf der Intensivstation sagte man mir, dass er sterben würde und bat mich um eine Organspende. Wenn ich es verweigern würde, würde in diesem Moment ein anderer junger Mann sterben … Ich – ich – fühlte mich so hilflos.“
    „Und dann haben Sie natürlich zugestimmt. So wie wir alle hier“, sagte mit bitterem Unterton eine korpulente Frau mit weißblondem Kurzhaarschnitt, die ihm gegenüber saß.
    „Ja. Und als Alexander tot war, wollte ich von ihm Abschied nehmen. Aber er sah so – entstellt aus, so furchtbar fremd. Und da wusste ich, dass ich etwas ganz und gar Falsches getan hatte.“
    „Alexander?“, fragte die magere Rothaarige.
    „Ja, Alexander Osswald. Sie werden von seinem Tod in der Zeitung gelesen haben.“
    „Der Sohn von Celia Osswald, der berühmten Schauspielerin?“, fragte die Korpulente.
    „Ja. Und auch m e i n Sohn.“ Saalbach kniff die Lippen zusammen.
    „Was für ein Schicksal – zwei tragische Todesfälle in ein und derselben Familie“, bemerkte eine Dame vom unteren Tischende.
    Brigitte Lasbeck klopfte leicht gegen ihre Kaffeetasse. „Ich schlage vor, dass sich jeder hier mit seiner Geschichte kurz vorstellt. Damit Herr Saalbach gleich voll einbezogen wird.“
    Saalbach blickte vom einen zum andern. „Aber wird das nicht zu schwer, ich meine, wenn jetzt alles noch mal so aufgerührt wird?“
    Die ältere Rothaarige, die Ursula Meyer hieß, schenkte ihm Kaffee ein. „Nein. Wir sind es gewohnt, über unseren Schmerz zu sprechen. Und dieser Schmerz wird immer bleiben. Ob nun zwei oder zehn Jahre vergangen sind.“ Sie befühlte ein Medaillon, das auf ihrem flachen, rotfleckigen Dekolleté lag. „Mein Sohn ist beim Skifahren verunglückt. Er wurde 18 Jahre alt. Ich habe als Sekretärin in der Evangelischen Studentengemeinde gearbeitet, und als man in der Klinik sagte, es sei doch sehr christlich, wenn ich – ich habe dann zugestimmt, und ein Jahr später habe ich eine schwere Hauterkrankung bekommen. Mehr möchte ich nicht sagen.“
    „Hartmut Ebeling“, sagte der Düstere, und Saalbach wandte sich ihm widerstrebend zu. „Meine Tochter ist von einem Auto angefahren und mitgeschleift worden. Als Fußgängerin.“ Er starrte auf seine Hände, die sich wie von selbst zur Faust geballt hatten. „Ich war damals schon allein stehend. Dann kam so eine Koordinatorin, fragte mich und legte mir gleich eine Liste vor. Ich sollte ankreuzen, was ich spenden wolle. Herz, Leber, Nieren. Ich habe alles angekreuzt, bis auf die Augenhornhäute. Es war wie ein Zwang.“
    „Nehmen Sie sich doch von dem Kuchen, Herr Saalbach.“ Brigitte Lasbecks helle, melodische Stimme durchbrach die eingetretene Stille.
    Saalbach griff nach einem Stück und biss ab. Es schmeckte zu süß.
    „Wenn Sie jetzt glauben“, fuhr sie an den Gast gewandt fort, „dass hier nur Angehörige von Unfallopfern sitzen, dann ist das ein ganz falscher Eindruck. Insgesamt kommen nur etwa 30 Prozent der Spender durch äußere Verletzungen in diese Lage, bei 70 Prozent sind es internistisch-neurologische Schäden wie Hirnblutungen und dergleichen.“
    „Ja, mit den Unfällen geht es zurück. Weil es ja Helm- und Gurtpflicht und Airbags gibt. Das gefällt den Transplanteuren natürlich nicht.“ Die Korpulente flüchtete sich wieder in Sarkasmus. „Deshalb kann jeder von uns, der aus irgendeinem Grund auf der Intensivstation landet, als Spender enden.“
    „Nicht als Spender. Ich nenne das Sterbeopfer!“, warf Hartmut Ebeling

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