Herzraub
Früher hatten wir Etagenschlucker, aber jetzt werden die Häuser saniert, und da haben sie die abgeschafft.“
„Das ist schlimm.“ Danzik atmete flach.
„Und diese alten Leute“ – sie sagte es in einem Ton, als sei sie wesentlich jünger – ,„die werfen ihren Müll einfach aus dem Fenster. So, und jetzt gucken Sie mal.“ Sie zeigte auf zwei faustgroße Löcher rechts und links vom Eingang. „Ratten. Rattenlöcher.“
Tügel horchte auf. „Ratten?“
„Ja, und Mäuse und Kakerlaken. Wir sollen den Müll im Keller sammeln. Nur die von nebenan haben die Container gekriegt, weil, die haben zu wenig Kellerraum.“
„Und Frau Jablonski konnte das nicht aushalten?“
„Kann man so sagen. Hat sich furchtbar aufgeregt. Hier könne man doch nicht wohnen bleiben, hat sie gesagt. Zumindest müsse man erstmal Rattengift besorgen, bis die Behörde was unternimmt.“
Die Kommissare tauschten Blicke.
„Dann wünschen wir Ihnen, dass das Problem bald gelöst wird.“ Danzik wandte sich zum Gehen.
Die Graue winkte verächtlich ab. „Die spielen hier doch nur Ping-Pong mit uns. Der Vermieter sagt, das Bezirksamt ist zuständig, und das Bezirksamt sagt, der Vermieter ist zuständig. Aber was will man machen“ – sie seufzte – „in meinem Alter, da zieht man nicht mehr weg.“
„Jedenfalls vielen Dank. Auf Wiedersehen.“ Tügel folgte seinem Chef.
Als Brigitte Lasbeck in den Hörer sprach, klang ihre Stimme ungewohnt energielos. „Nein, nicht so gut … eigentlich wollte ich heute nicht … Also, gut, Herr Saalbach, dann um 13 Uhr im ›Warsteiner‹.“
Das Lokal lag in einem alten Elbspeicher direkt am Fluss, war von gepflegter Gediegenheit, der Weg nicht weit, und vielleicht würde sie der Blick auf die langsam vorbeiziehenden Schiffe und Lastkähne etwas beruhigen. Brigitte Lasbeck warf ihren Edelparka über und ging zur Garage.
Claus Saalbach saß schon an einem weiß-blau gedeckten Zweier-Tisch und fuhr hoch. Er begrüßte sie mit einer neuen Dynamik, die mit ihrer blassen Mattigkeit seltsam kontrastierte. Er nahm ihr den Parka ab, und sie ließ sich auf einen der Worpsweder Binsenstühle fallen.
„Immer wieder schön hier“, sagte sie, als er zurückkam. Ihr Blick ging aufs Wasser und blieb daran hängen.
„Ja, wunderschön. Aber Sie sehen erschöpft aus, Brigitte.“
Sie überhörte die vertrauliche Anrede, machte nur eine müde Geste.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Es wäre mir eine große Freude, wenn ich … nachdem Sie so viel für mich getan haben.“
Brigitte Lasbeck sah ihn erstaunt an.
„Ja, ohne Sie hätte ich mich niemals in der Lage gefühlt, diese juristische Sache in Gang zu setzen. Hier“ – er zog ein Blatt aus der Tasche – „die eidesstattlichen Versicherungen der beiden Neurologen, dass mein Sohn hirntot war, als er explantiert wurde.“
„Das ist gut.“ Sie sagte es, als ob sie das Gegenteil meine. „Wie gesagt, ich habe diese Versicherungen auch bekommen. Aber dann war ich mit allen Unterlagen in Cambridge, dort, wo die Leber meines Sohnes gelandet ist, und da eröffnete mir der Professor, dass Holger noch gar nicht hirntot war.“
„Ein Schock für Sie!“
„Ja, der Ihnen hoffentlich erspart bleibt.“
Auf Saalbachs Zügen breitete sich Bestürzung aus, und Brigitte Lasbeck legte sofort die Hand auf seinen Arm. „Machen Sie weiter, ich bitte Sie. Bei mir wurde das Verfahren zwar eingestellt, aber das muss bei Ihnen ja nicht auch so laufen.“
„Sie waren bisher so kämpferisch und heute … Ist etwas passiert? Was ist es?“
Brigitte Lasbeck zog seufzend die Luft ein. Sie lächelte schwach. „Ich kann es Ihnen ja ruhig sagen: Ich werde des Mordes verdächtigt.“
„Wie bitte?“
„Ja, des Mordes. Die Polizei verdächtigt mich, Ihre Ex-Frau Celia Osswald umgebracht zu haben.“
„Aber das ist ja – “ Saalbach ließ ein anhaltendes unechtes Lachen los. „Absurd ist das. Einfach absurd.“
Brigitte Lasbeck sah ihn dankbar schmerzlich an.
„Und wie kommen die dazu?“
„Nun, weil das Herz rausgeschnitten wurde. Und da denkt man natürlich sofort an die rachsüchtigen Spenderfamilien. Weshalb nun gerade ich es sein soll … Sie haben es nicht so brutal gesagt, aber es war eindeutig. Glauben Sie mir, die werden wiederkommen und alles bei mir durchschnüffeln.“
„Unfassbar.“ Saalbach schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ausgerechnet meine Ex-Frau. Obwohl“ – er lachte zynisch auf – „verdient hat sie es
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