Herzschlagzeilen
frage ich sie noch einmal.
»Die Youngsters.« Nina guckt mich nicht an.
»Ne, oder?«
»Doch. Ach komm, Isa, sei doch nicht so. So übel sind die gar nicht. Und Colin ist echt ein guter Schlagzeuger.«
Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber Nina hat mehr Glück, als sie verdient. Mein Handy piepst und kündigt den Eingang einer SMS an. Wer schreibt mir denn jetzt noch? Auch Nina zieht fragend die Augenbrauen hoch. Ich zucke mit den Schultern und öffne neugierig den Mitteilungseingang. Luke. Ich verdrehe entnervt die Augen. Der hat mir jetzt gerade noch gefehlt.
»Hi, Isa, Samstagabend schon was vor? Wollen wir uns treffen? Könnten die Artikel noch mal durchgehen.«
»Luke? Samstagabend?« Ich fahre herum. Nina hat mir über die Schulter geschaut und grinst.
»Ich weiß auch nicht, was plötzlich in den gefahren ist. Der wird auf einmal so anhänglich.« Keine Ahnung, warum ich jetzt rot werde, aber Nina ist so gnädig, das zu übersehen.
»Sag ihm, dass du schon mit mir verabredet bist«, schlägt sie vor. »Es sei denn, du möchtest dich lieber mit dem Jedi treffen.«
»Nein, will ich nicht«, fauche ich Nina an und klicke auf
Antworten
. Dass ich mir absolut noch nicht sicher bin, ob ich den Samstagabend mit Nina verbringen will, um ihr dabei zuzuschauen, wie sie meinen Bruder anhimmelt, sage ich nicht.
Ich kenne Luke seit ich auf dem Gymnasium bin. Also seit der fünften Klasse. Schon ziemlich früh wurde klar, dass wir beide eine Leidenschaft teilen: das Schreiben. Luke war genauso versessen darauf wie ich, Mitglied der Redaktion unserer Schülerzeitung zu werden. Blöderweise mussten wir warten, bis wir in die Siebte kamen, bevor es klappte. Das damalige Team bestand durchgehend aus Oberstufenschülern, die so junges Gemüse wie uns nicht in der Redaktion haben wollten. Aber als sie ihr Abi gemacht und die Schule verlassen hatten, gab es plötzlich keine Schülerzeitung mehr. Luke und ich waren die Ersten, die sich auf einen Aufruf der Schulleitung hin meldeten und bereit waren, den Laden zu übernehmen. Wir haben die
Brennpunkt
damals komplett umgekrempelt, denn wir wollten lockerer sein als unsere Vorgänger, witziger, frecher und vor allem beliebter bei den Schülern. Dafür haben wir hart gearbeitet. Nach und nach ist unser Team um ein paar wirklich kreative Köpfe gewachsen, sodass wir immer weniger selbst schreiben mussten und immer mehr delegieren konnten. Aber Spaß macht uns beiden die Schülerzeitung immer noch. So etwas verbindet. Früher haben wir in jeder freien Minute die Köpfe zusammengesteckt und über der nächsten Ausgabe gebrütet. In jeder Pause führte mein erster Weg in den Redaktionsraum, wo Luke und ich oft so intensiv debattierten, dass wir vollkommen das Klingeln zur nächsten Stunde überhörten. Von mir aus hätte es ewig so weitergehen können.
Ging es aber nicht. Alles wurde anders an diesem einen Nachmittag, an dem wir in stundenlanger Kleinarbeit eine besonders brenzlige Sache gerade noch mal so hingebogen hatten.
Luke hat sich so gefreut, dass er mir jubelnd um den Hals gefallen ist, und erst habe ich auch gejubelt, aber plötzlich hatte ich seine Lippen auf meinen. Ganz weich fühlten sie sich an. Ganz zaghaft.
»Luke«, flüsterte ich. »Bitte nicht.«
Aber Luke schüttelte nur den Kopf und presste seine Lippen noch ein bisschen fester auf meine, und dann spürte ich, wie die Spitze seiner Zunge sich einen Weg suchte.
Ich hielt die Luft an und kam ihm ein Stückchen entgegen. Seine Zunge grub sich weiter in meinen Mund und ich öffnete ihn leicht. Als unsere Zungenspitzen sich berührten, schoss ein irres heißes Gefühl durch meinen Körper, das ich so vorher noch nie gefühlt hatte. Ich klammerte mich an Luke fest, er schlang seine Arme um mich, und wir küssten uns, bis unsere Lippen brannten. Dann klingelte es zur Mathestunde und der Zauber war vorbei.
Ich starre auf den geöffneten Mitteilungsordner. »Hi, Luke, kann leider nicht. Samstag hat meine Oma Geburtstag. Familienfest. Sorry.« Ich drücke auf
Senden
und bekomme prompt ein schlechtes Gewissen.
I ch kicke meine Ballerinas unter das Bett und zerre mir das Halstuch von den Schultern. Was für eine Blamage. Wenn ich wenigstens meine Totenkopf-Chucks getragen hätte. Nicht, dass das an meiner Situation irgendetwas geändert hätte, aber zumindest hätte ich mich damit sicherer gefühlt.
Ich werde mein Zimmer nie wieder verlassen können. Mein Leben ist zerstört. Ruiniert. Und mein Traum von
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