Herzschlagzeilen
kenne ich sie viel zu gut.
Nina seufzt. »Ich finde ihn nett. Das ist alles. Wir haben uns mal im KuBa getroffen und uns ganz gut unterhalten.«
»Nett? Colin ist nicht nett. Colin frisst mir meine Schokolade weg, wenn ich welche habe. Er dreht die Musik auf, bis zum Anschlag, obwohl er weiß, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Wenn Colin im Bad war, kann man hinterher ausmisten, er rülpst beim Essen und er beleidigt meine Freunde am Telefon.«
Ein Blick zu meiner Freundin sagt mir, dass ich gegen eine Wand rede. Ich merke, wie sich Enttäuschung in mir breitmacht und einen faden Geschmack hinterlässt.
Das hier war nicht Teil unseres Plans. Und ich fühle mich verraten.
»Ist zwischen euch was gelaufen …?« Ich kann mir meinen Bruder überhaupt nicht mit einer Frau vorstellen und schon gar nicht mit meiner allerbesten Freundin.
Nina schüttelt den Kopf. »Quatsch, nein. Und jetzt komm wieder runter. Wir haben nur geredet. Wirklich. Und ich finde deinen Bruder nett. Auch wenn er rülpst«, sagt sie und plötzlich müssen wir beide lachen. Nina hält mir das nächste Kleidungsstück hin und ich ziehe das Garfield-Shirt wieder aus.
Wir sind uns einig, dass Jeans eher unpassend sind, weil ich doch sicher in den nächsten zwei Wochen an zahlreichen Vernissagen oder politischen Veranstaltungen teilnehmen werde. Zu elegant darf das Outfit aber auch nicht sein, schließlich muss man als Journalistin immer auch irgendwie dynamisch wirken und sich möglichst schnell und unproblematisch von einem Ort des Geschehens zum nächsten bewegen können.
Nina hält mir etwas Schwarzes vor die Nase. »Zieh das mal an, ich glaube, das ist perfekt!«
Kritisch betrachte ich das Stück Stoff in ihren Händen.
»Ist das nicht ein bisschen … knapp? Ich will den Bürgermeister doch nicht verführen, ich will nur einen Artikel über ihn schreiben.«
Aber Nina besteht darauf, dass ich den Rock anprobiere, und als ich mich im Spiegel sehe, bin ich begeistert.
Anschließend wühlen wir uns durch die Oberteile aus meinem Kleiderschrank, von denen tatsächlich ein paar ganz gut zu dem Rock passen. Für Samstag entscheiden wir uns für eine Kombination aus Ninas engem kniekurzem schwarzem Rock und einem sportlichen rot-grau gemusterten Shirt aus meinem Schrank.
Nina nennt diese Zusammenstellung sportlich-elegant, selbst meine schwarzen Chucks mit kleinen Totenköpfen würden zu diesem Outfit passen. Allerdings passen sie definitiv nicht zu einer Journalistin auf der Karriereleiter. Alternativ habe ich noch schwarze Ballerinas, was dem Ganzen aber eher einen soliden Schulmädchen-Touch gibt. Ich hoffe deshalb noch auf die schwarzen Pumps von Mama.
»So könnte es tatsächlich gehen.« Ich drehe mich noch mal vor dem Spiegel und bin ganz zufrieden mit dem, was ich sehe.
»Du siehst umwerfend aus. Glaub mir. Der Bürgermeister wird dir zu Füßen liegen.«
Lachend helfe ich Nina, ihre Sachen wieder in die Sporttasche zu stopfen. Vielleicht hat Nina ja doch die Wahrheit gesagt und findet meinen Bruder einfach nur nett. Manchmal ist er das ja sogar, auch wenn ich das ihm gegenüber nie zugeben würde.
Nina schnappt ihre Tasche und geht zur Tür.
»Du, Isa?«
»Ja?« Ich schiebe gerade einen Armvoll T-Shirts zurück in mein Schrankfach.
»Hast du nicht Lust, am Samstag ins KuBa mitzukommen? Dann können wir deinen ersten Arbeitstag feiern.« Irre ich mich oder druckst Nina fürchterlich herum?
»Hm – wer spielt denn?«
Das KuBa heißt eigentlich Kulturbazar und ist so eine Art kultureller Treffpunkt für alle möglichen Veranstaltungen. Früher war es mal ein Kino, heute gibt es dort nur noch mittwochs Filme. Donnerstags ist meistens Poetry-Slam, freitags Disko-Abend und am Samstag spielen in der Regel irgendwelche Bands.
Es hat ewig gedauert, bis mein Vater sich damit abgefunden hat, dass ich mich mit meinen Freunden dort ab und zu treffe, und noch länger hat es gedauert, ihm beizubringen, mit dem Auto nicht direkt vor dem Eingang zu parken, wenn er mich schon abholen muss.
Inzwischen darf ich auch mit dem Rad (im Sommer) oder mit dem Bus (im Winter) nach Hause fahren, was aber mehr daran liegt, dass Papas Arbeitszeiten sich so nach hinten verschoben haben, dass er oft keine Zeit hat, mich abzuholen. Meine Mutter ist da wesentlich lockerer. Sie versteht, dass man mit fünfzehn nicht mehr unbedingt einen Babysitter braucht.
Mir fällt auf, dass Nina meine Frage noch nicht beantwortet hat.
»Wer spielt am Samstag?«,
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