Herzschlagzeilen
gerade erst habe ich ihn irgendwo gelesen. Auch wenn mir im Augenblick nicht einfallen will, wo das war.
»Alles klar. Ich komme gerne mit.«
Eigentlich würde ich mit Marc lieber ins Kino gehen. Oder von mir aus auch wieder Eis essen. Oder irgendwas anderes. Im Grunde stelle ich mir alles spannender vor als eine Vernissage. Aber er soll jetzt nicht denken, dass ich undankbar bin. Und immerhin hat er sein Versprechen tatsächlich wahr gemacht und mich angerufen. Jetzt bin ich wieder am Zug.
Wir angeln uns einen Millionär– Teil 2 – kann beginnen.
W as ist eigentlich genau in meinem Leben passiert, dass ich neuerdings das Gefühl habe, nur noch ratlos vor dem Kleiderschrank zu stehen?
Auch wenn ich ab und zu gerne mal was Neues gehabt hätte, waren Klamotten bisher nie besonders wichtig für mich. Jeans, Sweatshirt. Fertig. Aber in Jeans und Sweatshirt kann ich unmöglich zu einer Vernissage gehen.
Obwohl ich kaum Zeit hatte, um Luft zu holen, zog sich dieser Arbeitstag wie Kaugummi. Am Vormittag musste ich im ganzen Haus die Post austeilen. »So lernst du am schnellsten alle Abteilungen kennen«, erklärte Rosa, während sie mir den Stapel in den Arm drückte. Danach die Meldungen im Newsroom, später die Redaktionssitzung, und am Nachmittag war ich mit
Wefi
zusammen am Marktplatz, wo wir die Großbaustelle besichtigt haben. Dort entstehen gerade eine Tiefgarage und ein neues Einkaufszentrum.
Mein Ausbilder erklärte mir, dass man in diesem speziellen Fall bei der Berichterstattung sehr sorgfältig vorgehen müsse, denn die Baustelle habe die Stadt in zwei Lager gespalten. Da sei zum einen die Fraktion rund um den Oberbürgermeister, die dem Ausbau zugestimmt habe. Zum anderen seien da die Umweltschützer, die sich gegen den Bau der Tiefgarage vor allem deswegen ausgesprochen haben, weil dafür mehr als 20 alte Bäume, die auf dem Marktplatz standen, gefällt werden mussten.
Ich musste an Dori in ihrer Latzhose denken und war sofort aufseiten der Umweltschützer. Als ich das
Wefi
sagte, nickte er nur und brummte: »Geht mir ja ganz genauso. Aber schreiben dürfen wir das so nicht, wenn wir die Zeitung nicht gegen die Wand fahren wollen.«
So viel zur Pressefreiheit.
Ich nahm mir vor, die Sache zu einem späteren Zeitpunkt noch etwas gründlicher zu recherchieren und dann vielleicht Dori für unsere Schülerzeitung zu interviewen. Der Gedanke gefiel mir richtig gut. Ein Interview mit einer aktiven Widerstandskämpferin unserer Stadt. Luke würde begeistert sein.
Luke … Mein schlechtes Gewissen plagt mich immer noch. Was er heute wohl gemacht hat? Ob die Theaterfotos gestern gut geworden sind? Ich muss an die Berührung seiner Hand denken und sofort ist dieses warme Gefühl wieder da. Ich bin verwirrt. Wieso löst mein Kumpel Luke plötzlich solche Gefühle in mir aus? Nina hat recht gehabt, überlege ich. Das muss alles an diesen blöden Hormonen liegen. Energisch schiebe ich den Gedanken an Luke weg und durchforste weiter meinen Kleiderschrank.
Seit einer Stunde stehe ich jetzt nur mit Unterwäsche bekleidet davor und kann mich nicht entscheiden. Kiki kann mir heute nicht helfen, weil sie nicht zu Hause ist, und auch Nina hat keine Zeit. Ich musste gar nicht fragen, was sie vorhat. Colin hat uns von sich aus erzählt, dass er heute Abend ins Kino will.
Was trägt man um Himmels willen auf einer Vernissage? Ich war noch nie auf einer solchen Veranstaltung, und meine Vorstellungen, wie so was ablaufen könnte, sind eher vage. Vermutlich hängen dort lauter nichtssagende Bilder rum, und ein paar wichtige Leute schlendern mit noch wichtigeren Mienen von Bild zu Bild und erläutern sich gegenseitig, was sie darauf zu erkennen glauben. Ich vermute weiter, dass diese Leute Schwarz tragen. Das einzig Schwarze in meinem Schrank ist der Rock von Nina und das langärmlige T-Shirt, das ich in der Schule schon anhatte. Gerade heute habe ich es frisch gewaschen wieder in den Schrank geräumt. Nachdenklich hole ich das Shirt heraus. Schwarzes Shirt zu schwarzem Rock? Was Rosas Sohn kann, kann ich auch. Total noire? Très chic, na also! Ich habe zwar keine Ahnung, wer noch so alles auf dieser Vernissage auftauchen wird, aber zumindest kann ich mich so sehen lassen. Ich drehe mich noch ein paarmal vor dem Spiegel. Irgendetwas fehlt. Wo ist denn nur der Seidenschal, den Nina mir zum Geburtstag geschenkt hat? Ich grabe mich durch den halben Kleiderschrank, bis mir einfällt, dass ich den Schal zuletzt als
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