Herzschlagzeilen
Schmuckstück um den Griff meines Rucksacks geschlungen hatte. Nachdem ich ihn abgemacht und mir umgehängt habe, betrachte ich mich wieder im Spiegel. Mit dem bunten Schal über den schwarzen Klamotten sehe ich nicht mehr nur cool aus, sondern richtig stylish. Man könnte mich glatt ebenfalls für eine Künstlerin halten, finde ich nach einem letzten Blick in den Spiegel. Jetzt schnell die Haare verwuscheln und den neuen Lidstift benutzen. Ich werfe meinem Spiegelbild noch eine Kusshand zu, dann mache ich mich auf die Suche nach Mama. Heute
muss
sie mir ihre Pumps leihen, sonst gehe ich barfuß aus dem Haus.
Erst als ich mein Zimmer verlasse, fällt mir auf, wie ruhig es in der Wohnung ist. Kiki ist bei einer Freundin. Colin im Kino. Papa hat Dienst. Aber wo ist meine Mutter? Krampfhaft bemühe ich mich, unsere Gespräche vom Abendessen abzurufen. Hat sie vielleicht irgendetwas gesagt, wo sie heute hinwill? Nach einer Weile gebe ich es auf, mir ihretwegen den Kopf zu zerbrechen, und gehe zu Mamas Schuhkommode im Schlafzimmer. Wenn es einen gerechten Gott gibt, hat er jetzt wenigstens dafür gesorgt, dass Mama nicht ihre schwarzen Pumps trägt. Ganz egal, wo sie ist.
Erst hinter der zweiten Klappe werde ich fündig. Aber sie sind da! Ich stoße einen kleinen Jubelschrei aus und schlüpfe in die Schuhe. Passen wie für mich gemacht. So muss sich Aschenputtel gefühlt haben, als sie nachts heimlich zum Ball aufbrach, denke ich, als ich die Wohnungstür hinter mir ins Schloss ziehe.
Zwar habe ich trotz Rosa-Tinkerbell immer noch keinen Kürbis, der sich in eine Kutsche verwandeln kann, aber zum Glück gibt es eine Bushaltestelle ganz in der Nähe der Vernissage. Obwohl die Pumps mir gut passen, könnte ich vermutlich nicht lange in ihnen laufen. Als ich aus dem Bus aussteige, kann ich die hell erleuchteten Fenster des Druckhauses schon sehen. Ob Marc bereits da ist? Mit jedem Schritt, den ich mich der Ausstellung nähere, schlägt mein Herz ein bisschen schneller. Heute werde ich nicht in meiner Eigenschaft als Journalistin hier sein. Heute werde ich als die offizielle Begleitung von Marc Behrendt diese Vernissage eröffnen. Die Tatsache, dass ich eigentlich heute Abend die Jahreshauptversammlung der Kleintierzüchter besuchen sollte, verdränge ich dabei. Zwar hat
Wefi
mir einen Zettel mit diesem Termin zugeschoben und dabei irgendetwas von »keine Zeit« gemurmelt, aber so ganz ausdrücklich gesagt, dass ich da hingehen
muss
, hat er auch wieder nicht. Und letztendlich wird er mir ewig dankbar sein, wenn ich ihm am Montag erzähle, dass ich im Rahmen meiner Recherchen auf eine Veranstaltung gestoßen bin, die sogar unserem Oberbürgermeister so sehr am Herzen lag, dass er stellvertretend seinen Sohn geschickt hat. Undenkbar, dass der Stadtanzeiger über diese Veranstaltung keinen Bericht bringt.
Aber jetzt konzentriere ich mich erst einmal voll und ganz auf mein Wiedersehen mit Marc. Ich stelle mir vor, wie wir gemeinsam zur Schere greifen. Seine Hand legt sich über meine und zu zweit durchtrennen wir das rote Band. Alle klatschen und Tabletts mit eisgekühltem Sekt werden herumgereicht. Seine Hand hält meine weiter fest, obwohl wir die Schere schon längst zur Seite gelegt haben …
In diesem Moment rutscht mein linker Fuß in etwas aus. Fast stürze ich, kann mich aber gerade noch abfangen. Entsetzt starre ich auf das, was da neben meinem Fuß auf der Straße liegt. Breit getretene Hundekacke. Das hat mir jetzt gerade noch gefehlt. Ich halte nach einem Stück Rasen Ausschau, an dem ich den Schuh notdürftig reinige.
»Da bist du ja endlich.« Eine Gestalt löst sich aus dem Schatten der Eingangstür. Marc. Begeistert stelle ich fest, dass er zu seiner Jeans heute ein schwarzes Hemd trägt. Wir zwei werden umwerfend zusammen aussehen. Marc drückt mir einen zarten Kuss auf die Lippen und reicht mir seinen Arm, ganz gentlemanlike, und ich hänge mich ein. Wenn das Nina jetzt sehen könnte! Doch dann schiebt sich statt Ninas Gesicht blöderweise Luke in meinen Kopf, und es dauert eine Weile, bis ich den wieder losgeworden bin.
Im Inneren der Galerie stelle ich fest, dass tatsächlich ausnahmslos alle hier Schwarz tragen. Von wegen cool und chic, niemand wird mich auch nur eines Blickes würdigen. Wenigstens falle ich dann auch nicht negativ auf, sage ich mir in dem Versuch, das Beste aus der Situation zu machen, während ich mich bemühe, mit Marc Schritt zu halten. Was für eine blöde Angewohnheit von ihm,
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