Herzüberkopf (German Edition)
bemerkte Louis das schwindende Licht und nun kam ihm auch zum Bewusstsein, dass die Schwimmerin gar nicht gekommen war. Nicht einmal einen Namen wusste er von ihr. Es war eben die Schwimmerin. Weil er sich dabei selbst ertappte, wie er darüber spekulierte, weshalb sie gerade an diesem Abend nicht gekommen war, musste er unwillkürlich über sich selbst lächeln. „Wie albern“, dachte er; über eine Frau nachzudenken, von der er so gut wie gar nichts wusste, außer, dass sie regelmäßig am Abend gerne schwimmen ging, ein langes, petrolblaues, schlichtes aber elegantes Baumwollkleid trug, honigblondes, leicht gewelltes, langes Haar hatte und blaue Augen besaß, wie Louis dergleichen niemals zuvor gesehen hatte. Also, eine völlig Fremde wie es hier am See viele davon gab. Und trotzdem vermisste er genau sie, aus für ihn noch unerklärlichem Grund.
Aber an diesem Abend kam sie nicht. Louis schrieb in seinem Manuskript solange, bis das Tageslicht die Kraft nicht mehr hatte, ihm das Geschriebene zu zeigen. Als er den Ort verließ war niemand mehr am Seeufer zu sehen. Die Fischer, welche gewöhnlich die letzten waren, die das Ufer verließen, hatten sich bereits davongemacht. Louis blieb noch ein paar Mal am Seeuferweg stehen, um diesen friedlichen Ort in sich aufzunehmen und das bezaubernde Glitzern der wenigen Lichtreflexe auf dem sich sanft wiegenden Wasser zu bewundern. Als er zu Hause ankam und den Wagen parkte, war es bereits dunkle Nacht.
In der anderen Welt
So schwimm ich zwischen Welten,
in denen keine Zeiten gelten.
Mit Freude vom Gestern ins Heute denken,
ist, als würde ich mir Zeit im Voraus schenken.
Später setzte er sich bei seiner Wohnung auf den Balkon und horchte der typischen Melodie des kleinen Städtchens in dessen nahem Zentrum er sein Geschäft, sein Atelier für die Malerei hatte und darüber wohnte. Später kam sein Sohn nach Hause und setzte sich zu Louis. Morris war 13 Jahre alt und lebte seit der Trennung bei ihm. Es war eine gute Gemeinschaft mit Vater und Sohn. Morris’ ältere Schwester Kira lebte bereits mit ihrem Freund zusammen in derselben Stadt. Louis hatte mit der Mama seiner Kinder trotz der privaten Trennung eine gut funktionierende Kooperation, da sie vor Jahren das Friseur-Geschäft gemeinsam gegründet und beschlossen hatten, es auch zusammen weiterzuführen. Lediglich im Privatleben hatten sich im Laufe der Ehe-Jahre die Wege getrennt und durch ein geschicktes Manövrieren im Guten zu der jetzigen Situation geführt.
Morris fragte wie der Tag gewesen war und Louis erzählte ihm etwas aus dem Kapitel seines Manuskripts, welches er gerade schrieb. Morris hörte aufmerksam das Stück Geschichte seines Großvaters, welchen er die ersten acht Jahre seines Lebens noch in Erinnerung hatte. Louis schlug vor, Morris wieder einmal mit an den See zu nehmen und vielleicht wie schon einige Male zuvor, ein Feuer zu entfachen und bis in die Nacht hinein am See zu bleiben. Das war im Jahr zuvor so gewesen. Inzwischen hatte Morris im Städtchen neue Freunde gewonnen, deren Interessen vorwiegend im Computersektor angesiedelt waren. Auch Morris war daran sehr interessiert, was der Entwicklung eines Burschen in diesem Alter durchaus entspricht. Dennoch zeigte er Interesse für einen Abend am See, obgleich ihm das Schwimmen nicht so sehr am Herzen lag wie es Louis schon seit Kinderjahren eigen war. Louis war in einem Bauernhof in Bernau, nahe St. Blasien aufgewachsen. Damals, in den sechziger Jahren und in den Siebzigern gab es weder Computer von Jugendbeinen an, noch Handys, durch die Jugendliche sich spontan verabreden konnten. Da galt es, entweder in der Schule etwas für den Nachmittag zu vereinbaren oder es gab die üblichen Orte, an denen sich am Nachmittag, nach Beendigung der Hausaufgaben die Gleichgesonnenen sich einfanden. Gewöhnlich waren die Plätze irgendwo am Flussufer, an Waldrändern oder Felsengebiete außerhalb der Ortschaft oder das Bretterlabyrinth eines Sägewerks, zwischen den meterhohen, noch nach frischem Holz riechenden Bretter-Stapeln, die mit speziellem Draht festgezurrt wurden. Oft waren riesige Wellbleche darüber angebracht geworden, sodass ein ausreichender Schutz vor Regen und Schnee im Winter gewährleistet war. Wenn die Horde der Jugendlichen damals zu laut wurde, tauchte meist der Sägewerksbesitzer irgendwo zwischen den Bretterstapeln auf und verscheuchte alle, mit der Drohung, die Eltern aller zu benachrichtigen. Louis und die
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