Hesmats Flucht
schmerzhaft am Ohr. »Du willst mir wohl nicht vertrauen. Mach, dass du verschwindest, sonst werde ich dir Beine machen.«
Erst in einem ruhigen Winkel der nächsten Straße zählte er nach und erkannte, dass ihn der Wechsler um fast 50 Dollar betrogen hatte. Er weinte vor Zorn und Scham. Niemand hätte ihn so behandelt, wenn sein Vater noch lebte. Aber der Geldwechsler würde ihn verprügeln, wenn er ihn jetzt als Dieb bezichtigte. Die Taliban würden kommen und sicher das restliche Geld bei ihm finden. Alles wäre vorbei. Hesmat musste seine Tränen hinunterschlucken, er konnte sich nicht wehren.
Wie sollte er den weiten Weg je schaffen, wenn sich die ganze Welt gegen ihn stellte? Wenn er so weitermachte, hätte er in ein paar Tagen kein Geld mehr und würde verhungern. In Mazar hätte es keiner gewagt, sich an seinem Geld zu vergreifen. Alle hatten seinen Vater, allein den Namen seiner Familie, gefürchtet. Hier war er, sein Name, sein Leben wertlos. Er bog um die Ecke und flüchtete sich in das erste Haus, in dem jemand ein Zimmer vermietete.
»Ich möchte schlafen«, sagte Hesmat.
Wortlos prüfte der Fremde mit seinen unförmigen Händen fachmännisch das Geld. Hesmat war verwundert, als der Dicke ihm einen Teil seines Geldbündels zurückgab. »Die Hälfte davon reicht«, sagte er. Dann zeigte er ihm das Zimmer.
Mit jeder Bewegung auf der harten Unterlage vermisste er seine weiche Schlafmatte. Der Wind pfiff durch jede Ritze des Hauses, und die kalte Luft drängte sich unter die schmutzige Decke, die nach fremden Männern roch. Doch die Müdigkeit siegte schließlich über den Ekel.
Er roch nach Schweiß, nach der dreckigen Decke, nach der Feuchtigkeit des Lochs, in dem er geschlafen hatte. Er probierte den Tee, der in einer blinden Kanne im Zimmer stand, und spie den Inhalt auf den Boden. Es gab kein frisches Wasser
zum Waschen, nur eine gelbliche Brühe, vor der er sich ekelte. Außerdem hatte er Angst, sich auszuziehen. Jemand könnte das Geld entdecken, ihm seine Kleidung stehlen. So beschloss er, ungewaschen in die Stadt zu ziehen, um nach einer Mitfahrgelegenheit Ausschau zu halten.
Das warme Brot, das er am Markt kaufte, gab ihm wieder Mut. »Heißes Brot und kaltes Wasser; auch wenn du im Kuhstall schläfst, gibt es nichts Besseres«, hatte sein Vater gesagt. »Nichts ist so mutlos wie ein leerer Bauch.«
Er sah den Bauern zu, die in ihren Ständen hausten, während sie oft tagelang darauf warteten, dass ihnen jemand ihre armselige Ware abkaufte. Plastikplanen schützten die wackeligen Holztische der Tadschiken und Usbeken, die hier ins Tal herunterkamen, um etwas Geld für das Überleben ihrer Familien in den Bergen zu verdienen. Die Geschäfte gingen schlecht. Es gab Hunderte Menschen, die sich zwischen den Tischen drängten, aber nur die wenigsten hatten genug Geld für die angebotenen Melonen, den Reis oder Mais.
Während er das Treiben beobachtete und darauf achtete, dass er nicht auffiel, hielt er vergeblich nach einem Jeep mit einem freien Platz Ausschau.
Noch eine weitere Nacht musste er sich in die schmutzigen Decken im Haus des Dicken hüllen, bevor er einen Wagen fand, der ihn mit nach Taloqan nahm.
Die schlechte Straße nach Taloqan forderte ihren Tribut: Immer wieder sahen sie Fahrer, die wild gestikulierend vor ihren liegen gebliebenen Jeeps am Straßenrand standen.
»Wenn du mit drei Autos losfährst, wird eines ankommen«, sagte der Mann am Beifahrersitz.
Hesmat hatte genug Mudschaheddin gesehen, um zu wissen, dass er ein alter Kämpfer war. Er fragte sich, warum er
nicht im Norden stand, um gegen die Taliban zu kämpfen. Als sie eine Pause einlegten, um einem der Fahrer mit seinem kaputten Wagen zu helfen, bemerkte er, dass dem Mann ein Bein fehlte. Erst als ihm der Alte streng in die Augen sah, wurde ihm bewusst, dass er ihn lange angestarrt hatte. Er lächelte, als Hesmat verschreckt den Blick senkte. Er war ein Kämpfer, Hesmat zweifelte nicht daran. Unauffällig beobachtete er den Mann, der sich mit seiner Holzkrücke unter der linken Schulter zwischen den Wagen bewegte und den Männern nützliche Tipps für die Reparatur gab.
Nach zwei Stunden fuhren sie schließlich weiter. Weiter über Straßen, die die Bezeichnung nicht verdienten, über eine Brücke, die gesprengt worden war und statt einer Fahrbahn aus zwei Holzbalken bestand, über die die Autos Zentimeter für Zentimeter balancierten. Während sie hinter drei Jeeps auf die Überquerung warteten, sah Hesmat
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