Hesse-ABC
Besuch einer Stiftsschule er-
laubende ↑ Landexamen in Stuttgart als Zweitbester bestanden.
Ebenso wie dieser versagt er aber im schulischen Drillsystem.
Giebenrath tötet sich am Ende, der junge Hermann Hesse beginnt
einen schwierigen, jahrelang unentschiedenen Weg der Selbstsu-
che, mit wechselnden Schulen, psychiatrischen Anstalten und ab-
gebrochenen Lehrverhältnissen.
Und doch, Hesse ist aufsässig genug, die Charakteristik des Phili-
sters direkt an den Vater zu adressieren, auszusprechen, worunter
er am meisten gelitten hat; dem Untertan mit permanent gutem
Gewissen: »Sein inneres Leben war das des Philisters. Was er et-
wa an Gemüt besaß, war längst staubig geworden und bestand
aus wenig mehr als einem traditionellen, barschen Familiensinn,
einem Stolz auf seinen eigenen Sohn und einer gelegentlichen
Schenklaune gegen Arme. Seine geistigen Fähigkeiten gingen
nicht über eine angeborene, streng abgegrenzte Schlauheit und
Rechenkunst hinaus. Seine Lektüre beschränkte sich auf die Zei-
tung, und um seinen Bedarf an Kunstgenüssen zu decken, war die
jährliche Liebhaberaufführung des Kunstvereins und zwischenhi-
nein der Besuch eines Zirkus hinreichend.
Er hätte mit jedem beliebigen Nachbarn Namen und Wohnung
vertauschen können, ohne daß irgend etwas anders geworden
wäre. Auch das Tiefste seiner Seele, das schlummerlose Mißtrau-
en gegen jede überlegene Kraft und Persönlichkeit und die instink-
tive aus Neid erwachsene Feindseligkeit gegen alles Unalltägliche,
Freiere, Feinere, Geistige teilte er mit sämtlichen übrigen Hausvä-
tern der Stadt.« Hans Giebenrath ist begabt – und genau das wird
ihm zum Verhängnis. Denn es macht ihn verletzlich gegenüber der
Grobheit derer, die sich alles nur äußerlich anlernen. Giebenrath
sucht das innere Erlebnis, aber in der seelenlosen Welt der Unter-
tanen öffnet sich gerade mit dieser wunderbaren Empfindsamkeit
die Todes wunde: die tägliche Vergewaltigung seiner Seele. Hesse
hat später diesen Versuch eines Schülerromans, der zum Aufstand
gegen die Eltern, Schule, Theologie, Tradition und Autorität wur-
de, nur »sehr teilweise geglückt« genannt. Und Hugo Ball sagte
sogar, der »Demian« (die Suche nach dem »Seelenlehrer«) annu-
liere »Unterm Rad«. Dem ist mitnichten so. Denn »Unterm Rad«
erreichte eine ähnlich aufstörende Wirkung wie Musils »Verwir-
rungen des Zöglings Törleß«, Rilkes »Turnstunde« oder Heinrich
Manns »Professor Unrat«.
Untertan
Hesses lebenslanger Hauptfeind. Zieht sich als verachtenswertes
Subjekt durch alle seine Bücher. Die Gestalt des Untertans wech-
selt. Mal maskiert er sich als Schulmeister, mal als Professor. So-
gar ein fanatischer Weltverbesserer ist meist im Grunde seines
Herzens nur ein Untertan, also das Gegenteil eines freien Geistes.
Aber ob es die Drill-Schule ist, die junge Menschen zerbricht (»Un-
term Rad«), oder lustfeindliches Rohköstlertum (»Doktor Knölges
Ende«), immer behauptet sich der Autor Hesse wie Nietzsches
Prinz Vogelfrei in seinen Texten als vogelhafte Rätselfigur, die
ihren Nimbus, den Reichtum an lebendiger Phantasie gegen die
Askese jeder Doktrin zu wahren weiß.
USA
Noch Mitte der fünfziger Jahre kann Hesse es sich nicht vorstel-
len, was ausgerechnet die Amerikaner mit seinen Büchern anfan-
gen sollen. In einem Brief an Siegfried Unseld zitiert er einen
amerikanischen Professor: »Um Hesse zu goutieren, muß man ihn
lieben - und was sollte in einem Buch wie dem ›Glasperlenspiel‹
für einen Amerikaner Liebenswertes zu finden sein?« So ist Hesse
in gewisser Weise froh, daß seine Antipathie dem amerikanischen
Geist gegenüber anscheinend erwidert wird. Er hätte es nicht ver-
standen, daß ausgerechnet von den USA (der LSD-Szene!) die
weltweite Renaissance seiner Bücher ausgehen würde. Wie er es
auch für einen typischen Ausdruck schlechten amerikanischen
Geschmacks hielt, als er hörte, dort habe eine »Steppenwolf«-Bar
eröffnet. Unseld schreibt über Hesses Haltung: »Das Schicksal
seiner Bücher in Amerika war ihm vollkommen gleichgültig. Er
traute den Amerikanern keine Kultur, keine Kultur des Wortes zu
...« Tatsächlich war Hesse auf dem amerikanischen Buchmarkt der
fünfziger Jahre quasi nicht existent. Unseld kaufte (hinter Hesses
Rücken) mit Einwilligung von Ninon Hesse und Peter Suhrkamp
Ende der fünfziger Jahre die amerikanischen Rechte zurück: für
2000 Dollar!
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