Hesse-ABC
Geräte, die per Dampfer
ankommen. Auch das Messer ist dabei. Aber all die Spaten, Har-
ken, Sensen und Äxte; sie verschwinden mit den Jahren. Nur das
kleine handliche Taschenmesser blieb erhalten. Jahrzehntelang.
Es kamen neue Gärten, in denen das Messer etwas zu schneiden
fand. Einmal, schreibt Hesse, wäre es beinahe auch der eigene
Finger gewesen, den dieses einmalige Messer ohne Hemmungen
von der Hand getrennt hätte, wie sonst die vielen Zweige von Bü-
schen und Sträuchern. Und auf einmal ist es fort. Das letzte Erin-
nerungsstück. Der Verlust intensiviert das Erinnern: »Ich dachte
nicht, daß einmal dies Messer von all meinem schönen jungen
Besitz, von Haus und Garten, Familie und Heimat das einzige
Stück sein würde, das noch zu mir gehörte und bei mir blieb.« Das
Messer wird zum Zeugen eines Irrtums. Daß dann auch das Mes-
ser selbst eines Tages verschwindet, ist nur konsequent. Nichts
läßt sich für immer festhalten, hat Hesse in jener Gaienhofener
Zeit begriffen, als er all das hatte, was nicht zu ihm paßte, obwohl
er es auf seine Weise liebte: Frau, Kinder, eigenes Haus. Er ging
auf Reisen nach Südostasien (1911), und als er wiederkehrte, kam
Bewegung in die erstarrte Idylle: »Aber darüber sprach ich mit
niemand, daß das Hierbleiben eben seinen Sinn verloren hatte
und daß mein Traum von Glück und Behagen in diesem Hause ein
falscher Traum gewesen war und begraben werden mußte.«
Gelegentlich dachte er beim Anblick des Messers an »Goethes
vorzügliche Anweisung für sentimentale Selbstmörder, sich den
Tod nicht allzu bequem zu machen, sondern ihn sich durch He-
roismus zu verdienen und sich zumindest mit eigener Hand das
Messer ins Herz zu stoßen. Und das konnte ich so wenig wie Goe-
the.«
Was also bleibt nach dem Verlust? Die reine Erinnerung. Und die
Einsicht, daß Heimat nicht an Gegenden, schon gar nicht an Ge-
genständen hängt: »Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir
innen, oder nirgends.«
Theater
Der Erfinder des »magischen ↑ Theaters «, in das er den
↑ » Steppenwolf « ↑ Harry Haller schickt, geh t selbst höchst ungern ins Theater. In die Oper gelegentlich, wenn auch mit den Jahren
immer seltener, aber das Theater interessiert ihn überhaupt nicht.
An Emmy Ball-Hennings schreibt Hesse 1929, ↑ Mozarts Opern seien für ihn der Inbegriff von Theater, »so wie man als Kind, noch
eh man es gesehen hat, sich ein Theater vorstellt: wie der Himmel,
mit süßen Klängen, mit Gold und allen Farben«. Und weiter: »Ich
habe mich für das eigentliche Theater ja niemals interessieren
können, das heißt für die Schauspieler und die Dramen: ich bin
niemals freiwillig in ein Schauspiel gegangen, nur wenige Male
aus Pflicht oder weil Freunde mich mitschleppten. Ich habe weder
den Hamlet noch den Lear noch den Faust oder Don Carlos oder
irgendein Stück von Hauptmann usw. jemals auf der Bühne gese-
hen, ich habe einfach kein Interesse dafür.« Nein, dramatischen
Instinkt besitzt Hesse nicht, er bleibt seinem Naturell nach Elegi-
ker, ein fahrender Liedersänger (will auch gar nichts anderes
sein), jedoch mit zunehmend kulturkritischen Texten.
Tod
Am frühen Morgen des 9. August 1962 stirbt Hesse im Schlaf an
Gehirnbluten. Am Abend vor seinem Tod hatte er noch ein gerade
beendetes Gedicht auf das Bett seiner Frau Ninon gelegt: »Splitt-
rig geknickter Ast,/Hangend schon Jahr um/Jahr,/Trocken knarrt er
im Wind/sein Lied,/Ohne Laub, ohne Rinde/Kahl, fahl, zu lan-
gen/Lebens,/Zu langen Sterbens müd./Hart klingt und zäh
sein/Gesang,/Klingt trotzig, doch heim/lieh bang/Noch einen
Sommer,/Noch einen Winter lang.« Ein Gedicht voll Todesahnung
und Lebenshoffnung.
Am Vormittag vor seinem Tod geht er mit Ninon im Wald spazie-
ren und sammelt etwas Holz für die Gartenfeuer, die anzuzünden
er so liebt. Wie oft schon rüttelt er auch diesmal wieder am mor-
schen Ast einer Rubinie. »Der hält noch«, murmelte er dabei. Am
Nachmittag ist die französische Übersetzerin von »Gertrud« zum
Tee zu Gast, man spricht über moderne französische Literatur.
Am Abend hört Hesse, wie Ninon an Siegfried Unseld berichtet,
im Radio die Klaviersonate Nr. 7 in C-Dur, KV 309, von Mozart. Am
nächsten Morgen findet sie ihn tot in seinem Bett. Am 11. August
wird Hermann Hesse auf dem Friedhof von ↑ San Abbondio bei Montagnola beerdigt. Die Grabstelle hatte Hesse 1954 für sich und
seine Frau gekauft. Der einzige
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