Heurigenpassion
gehabt, den alten VW-Bus des Hotels auszuborgen. Sein erster Impuls angesichts seines entschwundenen 50.000-Euro-Wagens war gewesen, die Polizei zu verständigen.
Beim zweiten Hinschauen fand er die Idee wegen der zwangsläufig zu erwartenden Komplikationen mit seinem Auftraggeber und der Ordnungsmacht aber nicht weiter verfolgenswert.
Der alte Bus, mit dem der Küchenchef normalerweise zum Einkaufen in den nächsten Großmarkt fuhr, verfügte über ein Radio. Daher kannte Frederick auch bald den Grund für Amelias plötzliche Abreise. Was heißt da Abreise, Flucht. Aber auch das Ziel, das sie zweifellos ansteuern würde.
Er musste ihr so rasch wie möglich folgen, um das Schlimmste zu verhindern. Dabei ging es immerhin um sehr viel Geld für ihn. Er überlegte, ob ihm seine Schwester in dieser Situation helfen konnte. Da er sie aber trotz wiederholter Versuche nicht erreicht hatte, blieb die Frage rein hypothetisch.
Eine knappe Stunde nach Amelia Balos erreichte auch Frederick den Schauplatz des vorhersehbaren Finales. Die erste Person, die er hier antraf, war Ingrid Marinov-Wondrak. So eine Scheiße. Er fand, dass das wirklich kein gutes Zeichen war. Da sie ihn auch schon erblickt hatte, blieb ihm aber gar nichts anderes über, als zu ihr zu gehen.
* * *
Als Palinski das Geschäft gerade verlassen wollte, klingelte sein Handy. Als er sich meldete, bemerkte er Wallner, der neben dem Eingang stand, gleichfalls telefonierte und dabei lachte.
»Palinski«, meldete er sich, dann musste auch er lachen. Beide Männer steckten ihre Mobiltelefone weg und beschlossen, direkt zu kommunizieren.
Wallners Bericht in Verbindung mit der Anwesenheit Ingrid Marinov-Wondraks, die lautstark gestikulierend auf einen jungen Mann einredete, machten Palinski nachdenklich. Sehr nachdenklich.
Er ging einige Schritte an das sich heftig austauschende Paar heran, um besser verstehen zu können. Aber auch, um sich den Mann näher anzusehen. Irgendwie kam ihm der Bursche bekannt vor und auf einmal wusste er auch, woher. Er hatte sein Bild erst vor kurzem gesehen.
Plötzlich fügten sich einzelne Puzzleteile zusammen. Zu einem Bild, das noch nicht alles zeigte, aber doch schon einiges verriet. Zumindest ein Muster andeutete, das manches erklärte.
Dann querten die beiden Männer den abgesperrten Bereich diagonal und betraten die Café Konditorei. Sobald Palinski mit Amelia noch einige letzte Fragen geklärt hatte, konnte der definitiv letzte Akt dieser Tragikkomödie beginnen.
Wilma hatte die Ausfahrt Nordbrücke genommen und war eben dem Vorwegweiser »Zentrum Döbling« gefolgt. Spätestens in fünf Minuten würde sie die Bühne erreicht haben, auf der ihr Mario gerade eine Glanzrolle ablieferte. Wenn man den ständig wiederkehrenden Berichten und Kommentaren über das aktuelle Geschehen Glauben schenken durfte. Sie war eigenartig berührt über die Art, wie völlig fremde Menschen ihren Mann sahen, seine Arbeit beschrieben und ihm Respekt zollten . Und sie war stolz auf ihn, sehr stolz sogar. Sie nahm sich vor, in Zukunft mehr Interesse und Verständnis für seine Arbeit aufzubringen.
Nachdem sie von der Barawitzkagasse abgebogen war, dauerte es nur mehr wenige Sekunden und sie war da. Hoffentlich würde sie einen Platz finden, um den Wagen abstellen zu können.
* * *
Palinski und Wallner verließen mit Amelia die Café-Konditorei, gefolgt von den übrigen Mitgliedern des Krisenstabes und einigen Beamten des Sonderkommandos. Den beiden war es gelungen, das BKA nach Darstellung der bekannten Fakten von der Harmlosigkeit Marinovs zu überzeugen und eine möglichst schonende Behandlung zu vereinbaren. Bei aller gebotenen Vorsicht natürlich.
Als die drei an Frau Marinov-Wondrak und Frederick vorbeikamen, blickte Amelia demonstrativ zur Seite und reckte den Mittelfinger der rechten Hand gerade in die Höhe. Palinski, der die kleine Geste bemerkt hatte, musste lachen. Am Eingang zum Optikerladen ließ er die andern beiden zurück und betrat das Geschäft.
»Na, wie sieht es aus ?« , Marinov war verständlicherweise nervös und wartete ungeduldig auf das Diktum des BKA.
»Um gleich mit dem Wichtigsten zu beginnen, es ist alles in Ordnung .« Er blickte dem »Verbrecher« scharf in die Augen. »Und wenn ich alles sage, dann meine ich auch alles. Amelia ist gefunden worden und wohlauf, und Sie werden sie in Kürze sehen .« Jetzt wandte er sich an Dr. Annemarie Sumser. »Vorher muss ich aber noch einiges mit
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