Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf
das ich mein Lebtag gesehen habe.
Kein blinder Shakespeare-Freund also, offenbar. Mit seinen immer wieder gebrochenen Gelübden, Wein und Theaterbesuch betreffend (gebrochen oder
umgangen,
indem er statt Wein einfach Branntwein trinkt) – mit diesen Gelübden nimmt Pepys übrigens schon die Ankündigungen des Zeno Cosini aus dem Roman Italo Svevos vorweg, in dem Zeno sich in jedem Kapitel schwört, nun wirklich und endgültig mit dem Rauchen aufzuhören.
Neben falsch bestiegenen Hosenbeinen und mißglückten Shakespeare-Aufführungen finden sich bei Pepys auch genügend Reflexe der
History
mit großem H. In keiner englischen Anthologie fehlt seine Schilderung des großen Londoner Brandes, des
great fire of London,
das am 2. September 1666 nachts in einer Bäckerei begann, sich verheerend ausbreitete und am Ende vier Fünftel der Stadt in Asche legte. Pepys schafft es, seine Habseligkeiten aufsLand zu bringen oder zu vergraben. Vom Fluß aus beobachtet er den Brand:
Je dunkler es wurde, desto größer erschien das Feuer, in allen Winkeln, auf Hügeln, zwischen Häusern und Kirchen, soweit man sehen konnte, bis hinaus zur City leuchtete die schreckliche, böse, blutrote Flamme, nicht wie die Flamme eines gewöhnlichen Feuers. Wir blieben, bis man das Feuer als einen einzigen riesigen Bogen von dieser bis zur anderen Seite der Brücke sah, ein Bogen, der etwa eine Meile lang war. Der Anblick machte mich weinen.
Berühmt ist auch seine Chronik der großen Pest, unter der London im Jahr zuvor gelitten hatte. Wieder sind es die Details, die uns die Zeit vor Augen führen:
Zog meinen neuen farbigen Seidenanzug an und meine neue Perücke. Was wohl für eine Mode in Perücken kommt, wenn die Pest vorüber ist? Jetzt wagt niemand, Haar zu kaufen, aus Angst, es könnte von einer Pestleiche stammen.
Nur in Tagebüchern ist das Allerprivateste so unlösbar verschlungen mit dem, was später als Datum in den Geschichtsbüchern stehen wird. Ein Tagebuch, nicht zuletzt darin liegt sein Reiz, gibt immer auch ein absichtsloses undum so getreueres Bild seiner Zeit. Wer sich über das Verhältnis von gutsituiertem Ehemann und Gattin im späten 17. Jahrhundert orientieren will, muß keine langen Studien lesen, sondern bei Pepys nachschlagen:
Abends in meinem Arbeitszimmer ihre Haushaltsbücher kontrolliert und festgestellt, daß sie ohne meine Erlaubnis ein Spitzentaschentuch und eine Nadel gekauft hat. Obwohl das nicht besonders schlimm ist, möchte ich doch nicht, daß es einreißt. Wir gerieten mächtig aneinander und gingen verfeindet ins Bett.
Zwei Tage später, vielleicht aus Rache, besucht Pepys abends eine Mrs. Mercer, wo sie sehr ausgelassen sind und sich mit Kerzenwachs und Ruß beschmieren, «bis wir wie die Teufel aussahen». Anschließend tanzen sie bei Pepysens bis morgens um vier.
Werfen wir einen vorerst letzten Blick in diese Aufzeichnungen, in denen im Jahr 1660 eine historische Zäsur aufblitzt. Am 25. September läßt Samuel Pepys sich im Flottenamt zum ersten Mal ein exotisches Getränk servieren. Es stammt aus China und nennt sich Tee.
Schmollwinkel und Blütenlese
Doch warum führt man es zuallererst, das Tagebuch? Befragen wir dazu einen jungen Mann, der zu einem der größten Prosaautoren deutscher Sprache heranwachsen sollte.
Ein Mann ohne Tagebuch (er habe es nun in den Kopf oder auf Papier geschrieben) ist, was ein Weib ohne Spiegel. Dieses hört auf Weib zu sein, wenn es nicht mehr zu gefallen strebt und seine Anmut vernachlässigt; es wird seiner Bestimmung gegenüber dem Manne untreu. Jener hört auf, ein Mann zu sein, wenn er sich selbst nicht mehr beobachtet und Erholung und Nahrung immer außer sich sucht.
Er verliert seine Haltung, seine Festigkeit, seinen Charakter, und wenn er seine geistige Selbständigkeit dahin gibt, so wird er ein Tropf. Diese Selbständigkeit kann aber nur bewahrt werden durch stetes Nachdenken über sich selbst, und geschieht am besten durch ein Tagebuch. Auch gewährt die Unterhaltung desselben die genußvollsten Stunden.
Das schrieb 1838 der spätere Verfasser des
Grünen Heinrich
und der
Seldwyla
-Geschichten, Gottfried Keller. Der etwas altkluge und beflissene Duktus verrät, daß es die Notiz eines jungen Menschen ist. Keller war kaum zwanzig, als er dieses Lob des Diarismus verfaßte. In diesem Alter nimmt man sich noch viel vor, das der inneren Disziplin dienen soll. Was beim späten Tolstoi der Vorsatz ist, nicht zu turnen oder gar Karten zu legen, ist
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