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Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf

Titel: Heute bedeckt und kühl - große Tagebücher von Samuel Pepys bis Virginia Woolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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heftige gab. Insbesondere sein, wie man es heute nennen würde,
Coming out
fand dort seinen Widerhall. Der junge Mann weiß selbst nicht recht, wie ihm geschieht. Er berichtet von «mancherlei Stürmen» in seinem Herzen und ermahnt sich, nachdem er so detailliert von seiner äußeren Umgebung gesprochen habe, dürfe er nichtverschweigen, was in seinem Innern vorgehe. Man hört gleichsam, wie er sich an dieser Stelle räuspert. Es werde ihm schwer, einer «seltenen Torheit» zu gedenken, die ihm soviel fruchtlosen Gram verursache, «aber die Aufrichtigkeit verbeut, sie zu umgehen».
    Ich wollte Liebe; aber ich hatte bisher nur die Sehnsucht nach Freundschaft gefühlt. Weiber sah ich keine, als jene affektierte Klasse, die nach Hof kam. Sie konnte mich nicht anziehen. So mag es gekommen sein, daß meine erste wärmere Neigung einem Manne galt.
    Damit ist es heraus. Platen liebte nicht die Weiber, sondern einen Mann. Dieses Thema wird das Tagebuch fortan dominieren. Es war für Platen – neben der Lyrik – das einzige Gefäß, in das er seinen Sorgen- und Leidensschwall ergießen konnte. Die Entlastungsfunktion des Tagebuchs liegt bei ihm auf der Hand. Wenigstens im Geheimbuch soll die Liebe, die ihren Namen nicht nennen darf, sich offen aussprechen. Was der Entlastung dient, gewinnt aber zugleich literarischen Rang. Dieser Rang verdankt sich dem Ethos der Wahrheit. Er habe nie etwas Gutes gemacht, schreibt Platen in jungen Jahren, doch wenn je etwas Ersprießliches aus seiner Feder geflossen sei und fließen werde, so seien es seine Diarien, die immer einen gewissen Wert behalten würden, wenn sie auch von demunbedeutendsten Menschen handelten, da sie
aufrichtig
seien und seine Entwicklung deutlich entfalteten. Aus diesem Grund will er die potentiell belastenden Tagebücher auch nicht später beseitigen. Er könnte zwar alle diese Blätter vernichten, führt er sich einmal vor Augen, allein dann verlöre er auch den größten Teil des Verdienstes einer «aufrichtigen Selbstschilderung».
    Einen kleinen Schutzfilter immerhin baut Platen ein bei seiner rückhaltlosen Konfession: Er verfaßt sie auf Französisch. Das ist nicht geradezu verschlüsselt, aber es rückt das Intime doch auf Distanz – so wie es ihm Thomas Mann im
Zauberberg
nachmachen wird. Dort legt Hans Castorp sein ungestümes Liebesgeständnis vor der Russin Madame Chauchat auch auf Französisch ab, denn für ihn gilt «parler français, c’est parler sans parler, en quelque manière». Manches Peinliche läßt sich in der fremden Sprache leichter ausdrücken. E.T.A. Hoffmann schrieb viele Sätze im Tagebuch in griechischen Buchstaben. James Boswell hatte es auch so gehalten, was ihm allerdings nichts half: Seiner Frau gelang die Entzifferung, und Boswells amouröse Fehltritte flogen auf. Auch Samuel Pepys, wie erwähnt, verschlüsselte seine Tagebücher, zum Glück so leicht, daß die Nachwelt keinen Bletchley Park und keinen Alan Turing für die Decodierung brauchte.
    Französisches Liebes- und Klagegestammel gab es nun auch beim armen Platen, den sein Konkurrent HeinrichHeine in den
Bädern von Lucca
später öffentlich outete, als Rache dafür, daß Platen zuvor mit Blick auf ihn auf der antisemitischen Klaviatur geklimpert hatte … Die berüchtigtste deutsche Literaturfehde und eine häßliche Geschichte bis heute, in der sich der eine Außenseiter mit Gift und Galle gegen den andern wendet. Platen zog es nach dieser Attacke vor, seinen Studienaufenthalt in Rom zu verlängern. Er pendelte zwischen Rom und Neapel, kam nur noch zweimal kurz in seine Heimat zurück, verfiel dem Trunk und starb, vor der Cholera fliehend, in Syrakus an einer Kolik. Weil es auf Sizilien keine protestantischen Friedhöfe gab, fand er seine letzte Ruhe im Garten einer Privatvilla.
    Sein eigentliches Lebenselend nahm früh seinen Lauf. So sei er denn, schreibt er im Tagebuch, ausgeschlossen von der Zahl jener Glücklichen, die durch Mitgefühl und Freundschaft ein Leben voll Wonne genössen. Warum mußte ihn jener Mann mit gewaltigen Banden fesseln, der heute oder morgen dies Land verlasse? Und es folgt ein klagendes Rondo:
    Ich kann nicht ohne ihn sein. Ich fühle eine unbeschreibliche Leere. O Wohlthat seines Anblicks, der mir nur selten zu teil geworden, o unabsehbare Reihe von Tagen, die ich ohne ihn werde verleben müssen! Und gezwungen sein, sich sohinzuschleppen; im Gefühle des Elends so auszudauern und an nichts eine Nahrung des Geistes oder Herzens zu finden!

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