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Heute bin ich blond

Heute bin ich blond

Titel: Heute bin ich blond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie van der Stap
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Stimme und die harten Rockklänge von Keith Richards’ Gitarre. Und ich mag die Kamera. Ich habe Martin, Fotograf und guter Freund, gebeten, Sophie ohne Krebskopf festzuhalten.
    Ich bin emotional. Zum ersten Mal seit letzten Mittwoch werde ich nicht getröstet und tröste auch selbst niemanden, aber an meinen Bewegungen und meinem Gesicht, das ich auf dem Display von Martins Digitalkamera sehe, merke ich, dass meine Emotionen noch im Tempo der vergangenen Tage durch mich durch toben. Meine Augen funkeln. Ich lasse mich völlig gehen, und das ist herrlich. Ich fühle mich ängstlich und stark zugleich, aber jetzt, vor der Kamera, mehr stark als ängstlich. Fuck-Krebs. Fuck- OLVG . Und Fuck-Weißkittel.

[home]
    Montag, 31. Januar 2005
    VITA BREVIS steht an dem Haus auf der anderen Seite der Gracht. Es ist das höchste und breiteste Haus in dem Block, es überragt die anderen Häuser und schaut auf unseres herab. Seit der Ulmenkrankheit bleibt das nicht mehr unbemerkt.
    Vita brevis. Ein Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert, über vierhundert Jahre alt. Die ersten Bewohner wussten Bescheid.
    Ich packe die letzten Sachen zusammen und gehe mit meinem Gepäck hinaus. Als würde ich in den Urlaub fahren. Mein Vater lädt die Tasche ins Auto. Meine Mutter, meine Schwester und ich schauen zu. Für die anderen ist es ein genauso seltsames, beängstigendes Abenteuer wie für mich, nur mit dem Unterschied, dass ich
ich
bin und sie
sie
sind. Dass der Krebs nur in mir sitzt, sieht man noch nicht. Die Distanz kommt erst im Krankenhaus, wo nur ein Bett reserviert ist. Da werden die Augen groß. So von wegen, wie ist das denn, wie fühlt es sich an, vielleicht – und wenn ich meinen Arzt recht verstehe,
wahrscheinlich
 – sterben zu müssen?
    Der Tod scheint ganz nahe in diesen Tagen. Auf Station C6 wird mir ein Bett in einem Mehrbettzimmer zugewiesen, obwohl ich Doktor L., meinen neuen Arzt, ganz bestürzt angeschaut habe, in der Hoffnung, ein Zimmer für mich und mein Elend allein zu bekommen. Doktor L. oder auch Doktor-»Ich-bin-zwar-nicht-nett-aber-ich-mein’s-gut«. Abgekürzt »Doktor Lusche«. Eine alte Frau kriecht auf dem Boden um ihr Bett herum und gibt komische Kreischlaute von sich, die ich nur in der psychiatrischen Abteilung unterbringen kann. Plötzlich schießt mir das Wasser in die Augen. Und plötzlich rennt Schwester Bas – ein Pfleger, aber es ist und bleibt doch eher ein Frauenberuf – geschäftig hin und her, um mir ein Einzelzimmer zu organisieren.
    Wir kommen an einem Gemeinschaftsraum mit vielen Schwestern und ein paar Ärzten vorbei. Wir sehen uns an und tauschen ein vorsichtiges Lächeln. In meinem neuen Zimmer gehe ich gespannt auf mein Bett zu, gefolgt von meinen ebenso gespannten Eltern und meiner Schwester.
    Die Krankenschwester, die sich in den kommenden Tagen um mich kümmern wird, hat lange rote Locken und tiefe Grübchen in den Wangen. Hanneke heißt sie. Mit derselben Gelassenheit, mit der Hanneke mir sagt, dass ich ein eigenes Bad habe, teilt sie mir auch mit, dass mir nach drei Wochen die Haare ausfallen werden. Ich zupfe ein bisschen an ihnen herum und versuche, mir den kahlen Kopf darunter vorzustellen. Eine üppige Mähne hatte ich nie, aber heute bin ich mit meinen Zotteln mehr als zufrieden. »Und meine Augenbrauen und die Wimpern?«, frage ich.
    »Die wahrscheinlich auch.«
    »Und die Schamhaare?«
    »Auch.«
    »Na toll, eine Babymuschi.« Bas schließt mich an die Infusion an und wir warten auf die ersten Chemobeutel. Bas ist kahlrasiert und trägt eine Gliederkette. Grund genug, ein Schloss an der Tür anzubringen, sollte man meinen, aber nein, Bas ist nichts weiter als ein stämmiger Teddybär. Leutselig schließt er auch die Beutel an meine Infusion an, neben den vielen anderen Beuteln mit Flüssigkeit, die als Dauerverzierung an meinem Infusionsständer hängen. IFOSFAMID , VINCRISTIN , DACTINOMYCIN . Drei Tage bekomme ich die Chemo, das kann acht Stunden pro Tag dauern; Die Schwestern bringen immer neue Beutel. Danach muss ich noch zwei Tage durchgespült werden. Hanneke macht etwas an dem Schlauch, und die farblose Flüssigkeit wird nach und nach gelb.
    »Ist das die Chemo?«
    »Ja.«
    Hochkonzentriert verfolge ich die gelbe Farbe, die immer länger wird und immer näher kommt. Ich schaue mein Handgelenk an und weiß nicht, ob ich es von dem gelben Zeug wegziehen will oder nicht. »Muss ich jetzt gleich kotzen?«
    »Das kann sein«, sagt Hanneke, »muss aber nicht. Es

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