Heute bin ich blond
aussprechen sollte. Er trat an die Anmeldung seiner Ambulanz und öffnete meine Krankenakte, rief »Frau van der Stap«, blickte in den Raum und sah mich dann ruhig an. Eine ganz Junge, muss er gedacht haben. Und schon war es um mich geschehen: ein schöner Kopf, ein weißer Kittel und knapp über vierzig. Alles in allem durfte ich eine ganze Woche auf seiner Station logieren, aber der erste Blick hat schon genügt.
Frisch belebt durch meinen neuen Arzt schlenderte ich in sein weißes Zimmer.
Thank God it’s a man’s world
. Das Krankenhaus erwies sich als der ideale Ort, um meine sexuelle Einsamkeit zu vergessen. Dass auch dieser Weißkittel sehr angenehm war, wunderte mich nach all den Kitteln vorher überhaupt nicht. Ich lief nun schon zwei Monate mit schöner Regelmäßigkeit im Onze Lieve Vrouwe Gasthuis herum, von Ambulanz zu Ambulanz. Von oben nach unten, von vorn nach hinten. Hin und her. Acht Praktikanten, zwei Gynäkologen, ein Lungenarzt und drei Antibiotikabehandlungen, ohne Erfolg.
Meine Beschwerden waren noch genauso diffus wie am ersten Tag: ein komisches Stechen da und dort, eine verschleimte Lunge und ein paar Kilo weniger. Dazu ein extrem blasses Gesicht. Während meine Daten zum siebenhundertachtundsechzigstenmal erfasst wurden – eine zentrale EDV haben sie noch nicht in diesen Fabriken, in denen die größten Apparate die größten Wunder vollbringen –, sah ich mir meinen Arzt genauer an. Auf seinem Namensschild stand: DR . K., LUNGENHEILKUNDE . Auf Anfang vierzig schätzte ich ihn. Charmant, gutaussehend, gescheit: ein Schürzenjäger oder glücklich verheiratet? Oder vielleicht beides? Das googeln wir mal nach, dachte ich. Ein weißer Kittel verbirgt vieles, die Schuhe aber nicht. Schuhe mit Lochmuster, schwarzes Leder. Nicht schlecht, nicht gut – in seinem Alter eher gut als schlecht, lautete mein Urteil. Um den Hals ein Stethoskop.
Ich musste auf seiner Werkbank Platz nehmen und mein T-Shirt hochziehen; den schwarzen BH , den ich darunter trug, durfte ich anbehalten.
Er setzte mir das kalte Stethoskop erst an die Brust, dann an den fröstelnden Rücken.
Er horchte, ich seufzte.
Ich seufzte, er horchte.
Ich horchte, er seufzte.
Da stimme etwas nicht, meinte er. Richtig Angst machten mir diese zweifelnden Worte nicht. Ich war eher erleichtert, denn dass mit meinem Körper etwas nicht stimmte, hatte ich mir schon gedacht. Müdigkeit, Atembeschwerden, bleiche Wangen, das alles war neu. Die Lösung des Problems in der Tablettenpackung finden, dann weitermachen wie bisher – das war’s, was ich wollte.
Ich wurde weggeschickt, durfte aber noch nicht nach Hause: erst zum Röntgen in die Radiologie im ersten Stock, dann noch mal wiederkommen. Mit meiner neuen Krankenakte unterm Arm zog ich brav ab. Noch war das Krankenhaus ein Abenteuer voller schöner, fürsorglicher und etwas autoritärer Männer. Wohin jetzt?
Zurück zu Doktor K., mit den Aufnahmen von meiner Lunge. Wieder nahm ich auf seiner Werkbank Platz. Diesmal in einem seiner Behandlungszimmer in einem Nebengebäude. ENDOSKOPIE UND LUNGENFUNKTIONSUNTERSUCHUNG lauteten die Wörter, die hier über meinem Kopf hingen.
»Die Bilder sehen nicht gut aus«, sagte Doktor K. »Da ist Flüssigkeit in deiner rechten Lunge, und die muss raus.«
»Raus?«
»Ja, durch eine Drainage in deinem Rücken.«
Ich schluckte. Ich wusste nicht, was eine Drainage ist, aber es klang nicht sehr schön, so ein Ding im Rücken zu haben.
Mein T-Shirt wanderte wieder hoch, und jetzt musste ich es sogar ganz ausziehen. Es geht aufwärts, dachte ich. Auch mein BH wurde aufgehakt. Mit Gänsehaut am Rücken und Gänsehaut an den Brüsten beäugte ich die lange, dicke Nadel, die Doktor K., seine Assistenzärztin – eindeutig eine Lesbe – und Floris, der Praktikant, in Augenschein nahmen. Anders gesagt: sechs Augen, auf meine runden Hügelchen gerichtet. Oder schauten sie doch nur auf die Nadel, die durch meinen Rücken direkt in meine Lunge gebohrt werden sollte? Floris war kaum weniger nervös als ich. Er blieb auf Abstand, führte Doktor K.s Anweisungen aus und hantierte etwas unbehaglich mit den Instrumenten seines Chefs.
Unterdessen erklärte mir die Assistenzärztin, was nun gleich geschehen würde, und warum sie es für nötig hielten, mir ein Leck ins Lungenfell zu bohren: »Man sieht auf den Bildern, dass sich zwischen deinem Lungenfell und der Lunge ein Dreiviertelliter Flüssigkeit angesammelt hat, und die pumpen wir mit der Drainage
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