Heute morgen und fuer immer - Roman
Schienbein. Ich mochte die beiden auf Anhieb und sie mich, wie es mir schien.
»Und du bist Nele?«, fragte ich das kleine Mädchen im Kürbiskostüm mit den glatten haselnussbraunen Haaren, die schulterlang geschnitten waren. Sehr glücklich sah sie nicht aus. Sie nickte mit zusammengekniffenem Mund. Jasper und seine Eltern sprachen ihr gut zu und versuchten, ihr die Freude an der Aufführung nahezubringen. »Marie und Luna sind doch auch Kürbisse. Ihr habt bestimmt viel Spaß zusammen!«
Nele zuckte mit den Schultern und war nicht aufzuheitern. Wo waren denn bitte ihre Eltern? Ich fragte Jasper.
»Valentin wird bestimmt wieder von den anderen Müttern festgehalten, sein Fanclub. Die finden ihn sooo toll, dass sie ihn immer gleich umzingeln!«, rollte Jasper gespielt entnervt die Augen.
»Und warum ist er so beliebt? Tauscht er tolle Kochrezepte aus, oder weiß er am besten, wie man das Silberbesteck sauber bekommt?« Kichernd versuchte ich, die Anspannung aus meinem Körper zu vertreiben.
»Weder noch, er gibt ihnen Tipps, was sie für ihre Männer drunterziehen könnten, damit mal wieder was im Bett läuft!«, hörte ich eine tiefe Stimme spöttisch antworten. Vor mir stand Valentin, Jaspers älterer Bruder, der keinen Zweifel daran ließ, wie bescheuert er mich und meinen Kommentar fand.
Das konnte ja heiter werden!
»Ich bin Clara!«, stotterte ich und schickte »Jaspers Freundin« hinterher, was keinen großen Eindruck zu schinden schien.
»Dass du nicht Papas Freundin bist, dachte ich mir schon!« Valentin grinste herablassend, woraufhin Ulrike ihn zugleich erstaunt und strafend anblickte. Das also war Jaspers Bruder! Unterschiedlicher hätten die beiden nicht sein können. Während Jasper hellbraune gewellte Haare und blaue Augen hatte, insgesamt ein sonniger Typ mit weicheren Gesichtszügen, war Valentin eindeutig nach Ulrike geraten, markant gezeichnete Gesichtskonturen und schwarze kurze Haare. Auch vom Charakter her schienen sich die Brüder ungefähr so zu ähneln wie Grünkohl und Curry. Jasper, offen, lustig, verspielt, Valentin, allem Augenschein nach distanziert, kühl, ernster - ein typischer älterer Bruder eben. Zum Glück war Nele Hauptperson, und schnell konzentrierten sich alle auf sie. Valentin, eben noch ein echtes Ekelpaket, ging zu Nele, sprach mit ihr, und ein paar Minuten später lachte sie und ging bereitwillig an seiner Hand zur Bühne. Wir wurden gebeten, uns in der holzvertäfelten Aula einzufinden, wo Jasper schon für uns alle eine Stuhlreihe frei gehalten hatte. Ganz links saßen seine aufgeregten Eltern, bepackt mit Videokamera und Fotoapparat, dann kam Valentin. Ich ging vor Jasper in die Reihe hinein und ließ neben Valentin den Platz frei, für seine Frau. Valentin schaute überrascht zu mir herüber. »Stink ich, Lara, oder weshalb sitzt du da drüben?« Diese Unverschämtheit und sein Blick, in dem lässiges Desinteresse lag, verschlugen mir fast die Sprache.
»Na ich dachte, ich lass Platz für Neles Mutter«, erklärte ich.
Valentin drehte nur kurz den Kopf zu mir.
»Die macht lieber Werbung für Blasenschwäche und kommt nicht, Lara!«
»Ah, Clara, nicht Lara!«
»Wie?«
»Ich heiße Clara und nicht Lara!«
Valentin nickte kurz.
»Ach so, alles klar!« Doch leise murmelte er: »Ob es lang genug hält, um sich das zu merken?«
Mir stieg die Galle hoch, was man mir sofort ansah, denn meine blasse Haut wurde in solchen Situationen von roten Flecken übersät. Immerhin passend zum Farbton meiner Haare.
Jasper nahm beschwichtigend meine Hand und setzte sich zwischen Valentin und mich.
»Er macht gerade 'ne schwere Zeit durch«, flüsterte er mir entschuldigend zu.
Ach was! Hätte ich so gar nicht gemerkt, bei seiner charmanten Art. »Ein paar Infos vorab über deine Familie wären durchaus hilfreich gewesen!«, zickte ich Jasper leise an, der bekümmert dreinblickte. Das war typisch Jasper, den Kopf voller Ideen, erzählte mir alle möglichen Kindheitsgeschichten, aber die wirklich wichtigen Details vergaß er einfach oder ließ sie weg.
Schuldbewusst nutzte Jasper die wenigen Minuten, bis das Theaterstück begann, und wandte seinem Bruder den Rücken zu, um mir im Schnelldurchlauf die wichtigsten Infos ins Ohr zu raunen. »Valentin ist von Haus aus BWLer, er war bis vor einem halben Jahr in einem hochdotierten Job als Manager bei einem Pharmakonzern in Hamburg. Bis Jutta, seine Frau, auf die Idee kam, sich ihren Kindheitstraum zu erfüllen. Sie wollte
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