Heute schon geträumt
quälenden Gedanken und Sorgen und krabbeln durch mein Bewusstsein wie eine Horde Ameisen.
Ich habe mal versucht, sie zu zählen, so wie man es mit den Schäfchen machen soll, aber das hatte leider den gegenteiligen Effekt. Statt einzuschlafen, ließ mich die Angst hellwach werden, und am Ende hing ich die ganze Nacht vor einer Fernsehsendung über fehlgeschlagene Schönheitsoperationen. Am nächsten Tag war ich nicht nur todmüde, sondern auch von wilden Alpträumen über Vaginalverjüngung traumatisiert. (Ich schwöre, so etwas wie Informationsüberlastung gibt es tatsächlich.) Insofern werde ich diese Methode sicherlich nicht mehr ausprobieren.
Aber vielleicht wäre es ja hilfreich, wenn ich einfach versuche, nachts ein wenig länger als fünf Stunden zu schlafen. Als ich das Kapitel aus Selbstfindung leicht gemacht zu Ende gelesen hatte, war es kurz vor ein Uhr früh. Andererseits kommen doch alle erfolgreichen Frauen mit einem Minimum an Schlaf aus, oder? Margaret Thatcher regierte unser Land mit vier Stunden pro Nacht, und ich habe gelesen, dass Madonna jeden Morgen um vier aufsteht, um stundenlang Ashtanga-Yoga zu machen.
Ich muss gähnen.Vielleicht könnte ich mir ja fünf Extraminuten gönnen. Nur dies eine Mal. Fünf Minuten können doch nicht so schlimm sein, oder?
Ich rolle mich gerade in Fötalhaltung zusammen, als mich Zweifel überkommen. Eigentlich sollten zwei Minuten genügen. Ich habe eine arbeitsreiche Woche vor mir. Morgen habe ich einen Termin mit einem potenziellen Kunden - Larry Goldstein, ein Top-Zahnarzt aus Los Angeles, bei dem sich die Hollywood-Stars die Klinke in die Hand geben, eröffnet eine Filiale in London und sucht nach einer PR-Agentur, die ihn bei der Lancierung unterstützt. Meine Agentur, hoffe ich.
Ein Anflug von Stolz erfasst mich. Ich kann immer noch nicht recht glauben, dass ich eine eigene Firma habe - Merryweather PR -, die im Wirtschaftsteil des Telegraph kürzlich folgende Erwähnung bekam: »Londoner Boutique-Agentur mit Spezialgebiet Beauty und Gesundheit. Gegründet vor drei Jahren von Charlotte Merryweather [das bin ich!], PR-Expertin und erfahrene Journalistin, die sich rühmt, jedem Kunden einen ganz individuellen, unverwechselbaren Touch zu verleihen.«
Das ist mein Stichwort. Ich muss herausfinden, ob Mr. Goldstein irgendwelche besonderen Wünsche in puncto Ernährung hat. Erst letzte Woche habe ich für ein paar Kunden in diesem brandneuen trendigen Sushi-Restaurant mit monatelanger Warteliste einen Tisch reserviert (um einen zu ergattern, musste ich betteln, jammern und am Ende mit dem Versprechen bestechen, in sämtlichen Pressemeldungen Loblieder auf den Laden zu singen), nur um dann festzustellen, dass die Geschäftsführerin schwanger war und keinen rohen Fisch essen durfte.
Mein Anflug von Stolz wird von der gewohnten Besorgnis im Keim erstickt.
Okay, vergiss die zwei Extraminuten im Bett. Lieber nur eine.
Oh, und ich muss unbedingt die Mails meines Finanzberaters beantworten. Nun, da ich die dreißig überschritten habe, muss ich an Dinge wie Ersparnisse und Altersvorsorge denken. Meine südostasiatischen Aktien machen sich im Moment recht gut, aber die Rentenvorsorge sieht gar nicht gut aus, sagt er.Alles wahnsinnig aufregend … wenn ich nur die leiseste Ahnung hätte, wovon der Mann spricht.
Fünfundfünfzig Sekunden.
Deshalb muss ich unbedingt bei Amazon ein paar Bücher bestellen. Investieren für Leute, die bis vor kurzem glaubten, Dow Jones sei ein walisischer Tenor oder etwas in dieser Art.
Fünfzig Sekunden.
Miles, mein Freund, sagt, es sei wichtig, für die Zukunft vorauszuplanen. Er ist Grundstücksmakler und spricht immer von Sicherheit und Investitionen. Ehrlich gesagt, bin ich erst letzte Woche, als wir zusammen im Bett lagen, geistig aus einem Gespräch über ein Darlehen zum Erwerb einer vermietbaren Immobilie ausgestiegen und habe mir ausgemalt, der Typ neben mir sei Jake Gyllenhal.
Ich muss zugeben, in letzter Zeit kam das häufiger vor.
Fünfundvierzig Sekunden.
Aber das ist doch ziemlich normal. Jeder, der in einer festen Beziehung lebt, hat irgendwelche Fantasien. Das weiß ich genau, weil ich es in einem meiner vielen Ratgeber gelesen habe. Wir sind seit anderthalb Jahren zusammen und führen eine wunderbare Beziehung. Okay, der Sex bläst mir vielleicht nicht immer das Gehirn raus, aber das ist doch nicht alles, oder? In jüngeren Jahren war das unglaublich wichtig für mich, aber heutzutage gibt es viel
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