Heute schon geträumt
Pilates machen ist vielleicht ein wenig übertrieben - ich habe es einmal ausprobiert und bin bei den Übungen im Liegen eingeschlafen -, aber ich bin immer noch fest entschlossen, es regelmäßig zu üben. Außerdem nehme ich Bäder mit Lavendelöl, zünde Duftkerzen an und trinke ein Glas kühlen Sauvignon Blanc dazu. Ich gebe zu, in letzter Zeit habe ich das etwas vernachlässigt - mit dem Nassrasierer unter der Dusche durchtauchen trifft es wohl eher - aber trotzdem. Und dann gibt es noch die Entspannungs-CD von Paul McKenna, die Mum mir geschickt hat. Sie muss irgendwo sein. Wahrscheinlich in irgendeiner Schublade.
Aber ich werde sie mir definitiv anhören, wenn ich mal etwas Zeit habe …
Okay, ich würde also nicht so weit gehen, mich als entspannten Menschen zu bezeichnen, aber wer ist das heutzutage schon? Ich habe meine eigene Firma. Ich habe eine Hypothek und jede Menge Verpflichtungen, und Falten um die Augen, die meine Aufmerksamkeit erfordern. Schließlich bin ich keine 21 mehr.
Gott sei Dank.
Damals hatte ich ein Zimmer zur Untermiete, einen langweiligen Job und war ständig pleite. Jetzt habe ich meine eigene PR-Agentur, wohne in einer hübschen Wohnung in einem netten Viertel in West End und fahre ein Beetle-Cabrio. Ich gehe zum Essen aus und kann mir Designerklamotten kaufen und Luxusurlaube leisten.
Nicht dass ich eines davon in Anspruch nehmen würde, weil ich sowieso nie die Zeit dafür habe, aber ich meine nur …
Ich habe sogar einen Personal Trainer.
Wo wir gerade dabei sind … Ich hieve mich aus dem Bett, tausche meinen kuscheligen Fleeceschlafanzug gegen meine Sportsachen und laufe ans Fenster, ziehe die Jalousie hoch und die Vorhänge beiseite. Es ist immer noch stockdunkel draußen, und einen Moment lang lasse ich den Blick über die stille Straße schweifen.
Ich bin 31 und führe das Leben, das ich mir immer gewünscht habe.
In diesem Moment läutet es an der Tür, und ich wende mich eilig ab.
»Komme schon«, rufe ich, reibe mir den Schlaf aus den Augen und stürze zur Tür.
Kapitel 2
Eine Stunde später - nach einer Runde durch den Park und ungefähr einer Million Scherensprünge - trabt Richard, mein Personal Trainer, vor mir her nach Hause. Richard war früher beim Territorialheer und treibt mich gern mächtig an.
Und zwar in der Form, dass ich mit dem Gesicht nach unten japsend auf dem Boden hänge, während er bellt, er wolle noch mal fünfzig Liegestütze sehen.
»Okay, Charlotte, wieso legen wir die letzten hundert Meter nicht noch einen kleinen Sprint hin?«
Glauben Sie mir - es gibt Dutzende Gründe, weshalb wir es bleiben lassen sollten, aber Richard ist bereits losgelaufen - ein durchtrainiertes, eins siebenundachtzig großes Muskelpaket in schwarzer Laufweste und den winzigen Shorts. Ich packe meine Kurzhantel ein wenig fester und folge der sich rasch entfernenden Gestalt, die auf kräftigen Waden federnd die Straße entlangläuft.
»Los, nicht schlappmachen. Rein mit der Luft in die Lungen. Knie hoch. Hopp, hopp, hopp, hopp.«
Ich schwöre, Richard hat die dicksten Wadenmuskeln, die ich je an einem Menschen gesehen habe. Der Kerl muss während seiner Armeezeit tausende Meilen mit einem Rucksack zurückgelegt haben, der schwerer war als ich. Eine tröstliche Vorstellung - nur für den Fall, dass ich eines Tages zusammenbreche und er mich nach Hause tragen muss.
Vor meiner Wohnung hole ich ihn schließlich ein.
»Bis nächsten Mittwoch, selbe Zeit.« Richard läuft auf der Stelle und verpasst mir einen kräftigen Schlag auf den Rücken, worauf ich um ein Haar nach vorn kippe.
»Nächsten Mittwoch, selbe Zeit«, erwidere ich fröhlich und schließe lächelnd die Haustür auf.
»Und vergiss nicht, deine Muskeln zu dehnen«, ruft er mir nach, reißt die Arme hoch und macht es mir vor.
»Mach ich.« Mit einem strahlenden Lächeln winke ich ihm ein letztes Mal zu, ehe ich ins Haus verschwinde. Und auf dem Flurteppich zusammenbreche.
Dieses Programm gebe ich mir dreimal die Woche. In jüngeren Jahren war ich ein echter Faulpelz, aber nun, da ich älter und klüger bin, ist mir bewusst, wie wichtig es ist, fit zu bleiben. Obwohl »fit« vielleicht nicht ganz die richtige Beschreibung für meinen Zustand ist. Eher etwas à la total fertig oder mit dem Erschöpfungstod ringend oder so.
Mit schweißüberströmtem Gesicht liege ich ausgestreckt auf dem Boden wie der Kreideumriss eines Mordopfers und konzentriere mich darauf, meine Atmung wieder unter
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