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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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linken Ohr liegt ein Pfirsich von einem der Bäume, die er selbst gepflanzt hat vor Jahren. Ein Mann mit gewölbtem Brustkorb und einem Vogelgesicht, der im Traum aber nicht mein Vermieter ist, schneidet Tata zwischen der Kragenspitze und dem Magen ein Viereck durchs Hemd, vom dritten bis zum fünften Knopf so pedant wie mit dem Lineal gezogen. Er hebt ein geweißtes Türchen aus Fleisch heraus.
    Ich sage: Da kommt Blut.
    Der Mann sagt: Das kommt von der Melone seiner Frau. Siehst du, sie ist verkrüppelt, sie wächst nicht mehr und ist nicht größer als ein Ei. Wir nehmen sie heraus und setzen einen Pfirsich ein.
    Er hebt die Melone aus der Brust und legt den Pfirsich an ihre Stelle. Der Pfirsich ist reif, mit roten Backen, aber nicht gewaschen, man sieht es am Haar.
    Der gehört der Langzöpfigen, sage ich, der wird doch nie wachsen, die Langzöpfige hält ihn nicht frisch.
    Eins mußt du ihr lassen, sie versteht was von Gemüse. Das hier ist Obst, sage ich.
    Wir werden sehen, sagt er.
    Der Mann legt das Türchen in die Brust zurück, es paßt genau. Er geht zur Hauswand und dreht den Wasserhahn auf und wäscht sich mit dem Gartenschlauch die Hände.
    Wird das Türchen nicht angenäht, frage ich.
    Nein, sagt er.
    Und wenn es herausfällt.
    Das ist luftdicht, es wächst zu, ich mach das nicht zum ersten Mal, sagt er, schließlich bin ich ein gelernter Tischler.
    Nachdem Paul und ich uns geliebt hatten über alle Müdigkeit, die kommt und geht, überfiel ihn ein ruhiger Schlaf und mich einer, der Bilder streut. Das Türchen aus Fleisch kam vielleicht wegen der tragbaren Klotür, der Vermieter als Chirurg, weil ich jetzt Geld für die Mietschulden hatte. Mein Tata und die- Langzöpfige hatten keinen Grund, hierher zu kommen. Mein Wunsch, die Langzöpfige abzulösen, kein Recht, sich einzumischen in die erste Nacht mit Paul. Die rotemaillierte Kaffeedose hat zu viel Licht, unerklärlich fantasiert sie in der Sonne, nicht ich.
    Paul hielt mir von hinten die Augen zu.
    Ich habe nachgedacht, du ziehst zu mir.
    Ich hatte seine Schritte nicht gehört und fühlte mich ertappt mit meinem Tata.
    Nein, sagte ich.
    War aber einverstanden, als hätt ich keine Wahl. Als er die Hände von meinen Augen wegnahm, schüttelte eine Frau im schräg gegenüberliegenden Fenster zwei weiße Kissen, und ich sagte:
    Ja.
    Und zweifelte daran. Und im nächsten Moment tat ich vier gehäufte Löffel Kaffee aus der Dose in den Topf und Paul sagte:
    Gut.
    Es war ein schönes Wort, weil es nicht schlecht sein konnte. Paul stellte ein Glas Aprikosenmarmelade auf den Tisch und schnitt Brot, vielzuviele Scheiben.
    Ich esse morgens im Stehen und Gehen, damit ich etwas im Magen habe, ohne zu frühstücken. Aber hier blieb ich sitzen. Ich erzählte von Tata und dem Türchen aus Haut, von der Melone und dem Pfirsich. Die Langzöpfige ließ ich aus dem Spiel. Auch, daß die rote Kaffeedose den Traum spiegelte, verschwieg ich. Und daß ich fremdelte vor ihr. Bei den Menschen, die mir sofort nicht gefallen, wird das Fremdeln kleiner, wenn ich nicht darüber rede, so war es bei Nelu, als ich in die Fabrik kam. Bei Gegenständen fremdel ich aber, weil sie mir gefallen. Ich denk mir etwas hinein, was gegen mich ist. Wenn ich es nicht sage, verschwindet es, wie das Fremdeln vor Menschen. Ich glaube, es wächst mit der Zeit ins Haar.
    Nach der Trennung von meinem Mann, in den stillen Tagen, als mich niemand mehr anschrie, fiel mir das Fremdeln der anderen auf. Wie oft sich die Leute vor anderen kämmen. In der Fabrik, in der Stadt, in den Straßen und Straßenbahnen, Bussen und Zügen, beim Schlangestehen vor Schaltern oder nach Milch und Brot. Im Kino, bevor das Licht ausgeht, kämmen sich die Leute und sogar auf dem Friedhof. Dieses Scheitelziehen von der Kopfmitte zur Stirn, man sieht das Fremdeln an den Taschenkämmen. Nur stummes Fremdeln läßt sich auskämmen, und der Kamm wird fettig. Wer einen sauberen Kamm hat, redet darüber und wird das Fremdeln nicht los. Ich dachte zurück: Mama, Tata, Opa, Schwiegervater, mein Mann, alle hatten sie dreckige Kämme, auch Nelu, auch Albu. Lilli und ich mal saubere, mal klebrige. Ja, so stand es mit dem Fremdeln zwischen uns, mit dem Reden und Verschweigen.
    Paul und ich tranken Kaffee, die Sonne lag auf dem Tisch. Ich hatte meinen Traum erzählt und dann nichts mehr gesagt, gar nichts über die Kämme. Paul fremdelte vor meinem Traum, er mied mein Gesicht und sah durchs Fenster.
    Schwache Nerven, sagte er, immerhin

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