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Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
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der Holz gibt für Särge. Ich seh es doch, wir nehmen uns selber zum Sarg. Manchmal schlurfte sie und kniff die Augen zu, andersmal ließ sie sich hängen und stierte mich an und fragte: Bist du ein Wächter, wirst du bezahlt. Gott sei Dank hielt sie den Schuft nicht für ihren Mann. Kaum war sie im Grab, kam der erste Winter. Sie hatte es gut, sie mußte nicht mehr sehen, wieviel weißes Haar jetzt fiel. Der Schnee peitschte, so grausig wie dieser hat noch keiner die Erde bedeckt. Er lag nicht, man sah ihn nur laufen. Die Sonne schliff ihn, Wellen und Wellen wie Messer. Auch der Lehm lief im Sommer durch die Hitze, gelb und rotgelb und grau. Manchmal weißblau, als wär man ans Ende des Himmels geschwommen, man wurde schwindliger als man schon war. Aber Schnee brennt anders als Lehm, auch wenn man sich umdreht, er macht die Augen leer. Viele von uns verloren den Verstand, allein oder zu zweit, das machte nichts mehr aus. Kurz nach ihrem Tod kam ein Traktor und ebnete unsere Erdlöcher ein. Wir mußten bauen, schließlich seien wir Menschen, hieß es, das Heimkehren sollen wir uns aus dem Kopf schlagen. Vielleicht war es gut so, ich mußte viel Lehm treten und Ziegel trocknen, das Wetter war naß, gleich kam der Winter. Ich hatte keine Zeit für Gedanken. Ihre verschimmelten Kleider tauschte ich ein und bekam sieben Bretter. Wie alle anderen baute ich ein Haus, kannst du dir das vorstellen, 8 Meter lang, 4 Meter breit mußte es sein, 2300 Stück Ziegel waren ein Haus. Jeder Ziegel 38 Zentimeter lang, 20 breit und 12 Zentimeter dick. Und jede Mauer so dick, wie der Ziegel lang war. Bei dem Wetter wurde alles schief und krumm. Und fürs Dach Stroh, Disteln, Gras, ständig nahm der Wind es fort. An die Außenwand malte man sich ein Zeichen – ein Viereck, Zacken, ein Kreis, eine Art Hausnummer, denn Zahlen waren verboten. Um den Tod zu bezwingen, malte ich ein Pferd. Ich wußte bis zuletzt, daß niemand von uns ein Pferd wird. Nur die Gegend wurde jeden Winter eines, weil der Schnee immer so lief. Ich blieb noch vier Jahre in dem Haus, frag mich nicht wie. Jetzt solltest du gehen, sagte mein Opa, wenn du seinen Sohn liebst, solltest du jetzt gehen.
    Kann er was dafür, fragte ich.
    Er hob die Augen.
    Du fragst verkehrt.
    Kann ich was dafür, fragte ich.
    Kann er was dagegen, sagte mein Opa, nein, kann er nicht.
    Als ich wieder in den Saal zurückkam, wollte ich, daß jemand mich aus meiner Haut herausnimmt. Weil niemand es tat, stopfte ich etwas hinein. An der Brauttorte stand noch eine halbe Wand mit zwei Fenstern, ich aß eine Gardine. Mein Mann tanzte mit seiner Mutter und ihrer weißen Lacktasche. Sie baumelte auf seinem Rücken. Mein Tata tanzte mit dem weißen Haargiebel meiner Mama. Mein Schwiegervater tanzte mit seiner Tochter und ihren weißen Schuhen. Ich sah an mir hinunter, diese Farbe setzte sich in die Familie. Wer kann was dagegen, einer muß es doch sein.
    Kommt ein Pferd in den Hof des Lagers
    hat ein Fenster im Kopf
    siehst du bläulich den Wachturm stehen,
    sang mein Opa manchmal bei der Arbeit im Garten, und es war kein Hochzeitslied.

 
    Die Straßenbahn steht an der Ampel. Schon wieder rot, sagt der Schaffner, für wen denn, da trägt in einer ganzen Woche kein Mensch seinen Fuß über die Straße, aber die machen Ampeln und kleben mit dem aufgeblasenen Arsch im Büro. Da geht doch nie einer in die Stadt und schaut sich seine Ampeln an. Die kriegen noch Prämien dafür und mir streicht man sie, weil ich zu lang auf der Tour bin. Die Stehenden schauen auf die Ampel und schweigen. Und einer von ihnen muß niesen. Einmal, und zweimal, und dreimal. Von einer Ampel niest man doch nicht, er niest von der Sonne, und viermal, und fünfmal. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand so oft niest, immer so kleine, magere Männer, die können nicht aufhören und haben keine Manieren. Diese Blechdackel, höchstens beim ersten Mal halten die eine Hand vor den Mund, dann nicht mehr. Man hofft nach jedem Mal, daß es jetzt zuende ist und kann trotzdem nicht aufhören, aufs nächste Mal zu warten. Man wird dumm im Kopf, man zählt und hilft mit. Jetzt niest er zum sechsten Mal, soll er sich doch die Nase zuhalten und siebenmal Luft schnappen, soll er doch auch etwas zählen, dann ist es vorbei. Sowas weiß der nicht, soll ich es ihm durch den ganzen Wagen zurufen. Nein, Luftschlucken ist gar nicht das Niesrezept, sieben Mal Luft schlucken ist gegen Schluckauf. Die Nasenflügel muß er sich massieren, bis es innen

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