Heute wär ich mir lieber nicht begegnet
mir lebt, als gehörten ihm drei Hände. Was in meinem Opa bohrt, ist nicht unsere Schuld. Dann spielte wieder die Musik, das Essen wurde aufgetragen. Die Kellner kamen mit Schüsseln zwischen den Tischen nach vorn, durch die Tür kamen sie, durch die mein Opa hinausgegangen und nicht zurückgekommen war, nicht einmal zum Essen.
Mein Schwiegervater hatte gegessen, seine Hände glänzten fettig, Fingernägel wie lackiert, heiße Wangen, flinke Augen, keine Spur von Gift. Im Teller lagen sauber abgelutschte Hühnerknochen. Dann spielte noch einmal Musik auf. In weißem Kittel, blauem Halstuch, weißer Mütze wie ein Seemann brachte der Koch die Brauttorte nach vorn zum Tisch. Sie war ein filigranes Haus, drei Stockwerke mit Fenstern und Vorhängen aus Zuckerguß, auf dem Dach zwei Wachstauben. Der Koch gab mir das Messer in die Hand, ich mußte das Haus zerschneiden, durch weiße Kruste in braune Wände, bis alle rundherum ein Stück auf ihrem Teller hatten. Auch vor meinem Schwiegervater waren ein hoher und ein tiefer Teller abgeräumt worden. Er hielt seinen Kuchenteller hin:
Nur eine dünne Scheibe bitte.
Aber er zeigte mit dem Daumen und Zeigefinger eine dicke. Als hätte ich das Gift genommen, ich hörte schlecht und hatte keine Luft, das Herz verpelzte. Ich ging meinen Opa suchen. Auf der Straße draußen war er nicht, nicht in der Küche vorne, nicht bei den Instrumenten im Abstellraum der Musikanten. Bei den Wein- und Schnapsfässern saß er, wartete auf nichts und niemanden und sagte, als ich mich zu ihm setzen wollte:
Du machst hier dein Kleid schmutzig.
Ich lehnte mich an die Feuerleiter in die Ecke.
Der parfümierte sich, und wir wurden zum Bahnhof getrieben, und fuhren zwei Wochen, dann standen wir, an die vierhundertfünfzig Familien, vor einem Pflock in der Welt. Pflöcke in schnurgeraden Reihen, oben Himmel, unten Lehm, dazwischen wir und die verrückten Disteln. Die Sonne versengte alles. Mehrere Tage gruben deine Oma und ich uns an der Stelle, wo der Pflock stand, ein Loch in die Erde und bedeckten es mit Disteln. Beim Pflücken zerriß die Haut. Uns löschte der Ostwind aus und dieser Durst, drei Kilometer weit kein Wasser. Mit Töpfen und Schüsseln machten wir uns auf zum Fluß, aber bis wir an unserem Erdloch ankamen, war das Wasser alles verschüttet. Wir hatten Krätze und Läuse, deine Oma mußte sich kahlscheren lassen, ich auch. Nur ist es bei Frauen anders, selbst die Disteln haben diese weißen Haare, überall flogen sie herum, der Wind gab keine Ruhe. Deine Oma sagte: Siehst du, das weiße Pferd ist da, es läuft uns nach, wir kriegen ein Fell. Sie schlug um sich und zog den Kopf ein und schrie: Weg da. Sie fing das Herumirren an, fand auch an den längsten Tagen zwischen den Erdlöchern nicht mehr zurück. Ich rief: Anastasija, Anastasija. Man hörte ihren Namen hinter jedem Distelblatt, und sie gab keine Antwort. Vom Rufen war der Durst am größten. Wenn ich dann vor ihr stand, aß sie Lehm, als würde sie Wasser schlürfen. Oft lachte sie noch mit den braunen, abgebrochenen Zähnen, das Zahnfleisch war eine zeitlang zerschlitzt, dann geschrumpft, dann weg. Es blutete nichts mehr. Eulenaugen und dieses Knirschen im Mund, ein Gespenst hockte im Lehm. Ich war am Verdursten, und sie genierte sich nicht, griff sich Erde und schlürfte. Ich schlug ihr auf die Hände, auf den Mund. Aus Angst vor den Distelhaaren hatte sie sich die Augenbrauen und Wimpern ausgerissen. Nackt wie ihr Kopf waren auch die Augen, zwei Wassertropfen. Gott, bei dem Durst, ich hätte sie trinken wollen. Ich nahm mir vor, sie am Sterben zu hindern, sie dazuhalten mit aller Macht, weil Liebe gar nicht möglich war. Immer härter hab ich sie geschlagen, weil sie nicht wußte, wie sie heißt, wie alt sie ist, woher sie kommt und mit wem. Wir waren beide einen Schritt vom Krepieren, sie gnadenlos irr und gut, und ich gottverdammt klar und schlecht. Sie hat sich im Stich und mich auf der Welt gelassen, auch der Tod hat Anastasija gerufen, lauter als ich. Dieser falsche Tod, und sie war ihm hörig. Wer kann es nehmen, wie es kommt, ich mußte draufschlagen, und viele sahen zu, und niemand störte mich. Andere waren nicht besser als ich, aber was geht mich das an. Ich war grob, und sie blieb gut, das ist es. Ich war nicht richtig im Kopf. Ich schob sie frohlockend am Nacken und schrie: Du wirst dich wundern, wir trocknen aus wie Bohnenschoten, hier wird niemand ein Pferd. Hast du verstanden, es wächst hier kein Baum,
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