Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Heute wär ich mir lieber nicht begegnet

Titel: Heute wär ich mir lieber nicht begegnet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herta Müller
Vom Netzwerk:
trug seine Tasche an der Seite, ich meine zwischen uns, so daß er den freien Arm nicht um mich legen konnte. Schon vor dem roten Bahnhof, als die Ziege in der Morgenkälte das Brot fraß und Nelu seine Jacke umhängte, wußte ich: Zeit kommt noch viel, aber Liebe kommt keine.
    Im Büro sagte ich die nächsten Tage, bevor wir heimgingen :
    Nein, ich komme nicht mit zu dir nach Hause. Nein, du kommst auch nicht zu mir.
    Warum, fragte Nelu.
    Zehn Tage oder drei Jahre, Männer brauchten immer einen Grund. Nelu sagte, es sei ausgeschlossen, daß es keinen gibt. Ich wollte nach der Trennung von meinem Mann ein Leben, das meinem kurzen Haar entsprach. So lange ich noch jung genug bin, in ein schönes Land, wohin die Exportkleider gehen. Ich wollte solche Kleider und noch schönere wert sein und einen großzügigen Mann, der sie mir kauft. Drei Mädchen aus der Gärtnerei hatten nach Italien geheiratet. Mein Schwiegervater fragte sie aus und erzählte uns zu Hause, wie das ging. Männer, die Mädchenfleisch von hier wollen, meist Junggesellen, angesehen im Beruf, die erst zum Heiraten kommen, wenn ihre Mütter zu Grabe gehen. Milde, umständliche Herren, an denen man Fürsorglichkeit und Vertrottelung nicht unterscheiden kann, gepflegte Männer in der zweiten Reife. Vielleicht komm ich, um die Füße von hier wegzuheben, doch noch auf Lillis Geschmack. Man mußte nicht unbedingt schön sein, nur frisch. Und bescheiden aussehen. Heiraten werden zwei Jahre nach Beantragung genehmigt. Man zieht mit seinem nackten Arsch ins Nest einer Familie. Man hat Messer und Gabel, mit ein bißchen Glück sogar aus Silber, und eine Marmorvase auf dem Tisch. Ich wollte zwei Jahre totschlagen, bis es soweit ist. Ich wollte nach Italien, das ging ihn nichts an.
    Du bist nicht der Grund, sagte ich, du warst nicht gemeint. Ich auch nicht, wir waren eine Dienstreise.
    Sein Gesicht war gefroren. Dann glitzerten diese Augäpfel viereckig. Er holte aus und gab mir eine Ohrfeige, die geschickter als sein Kaffeekochen, Schnürsenkelbinden und Bleistiftspitzen war. Sie saß, und mein Kopf brummte. Ich lachte, obwohl es mir verging. Gut, es mag gerecht gewesen sein, daß ich mit dem Kopf an den Türrahmen fiel. Nur daß er mich eine Woche später mit den Zetteln für Italien anzeigte, war ungerecht. Und daß er noch eins draufsetzte mit den Zetteln für Schweden, die er selber schrieb und in die Gesäßtaschen steckte, damit ich entlassen werde, das war Jagd. Und die Zettel für Frankreich ...
     
     
    Oma, jetzt sind wir da, sagt der Schaffner. Die Alte muß nur aufstehen, zehn-, fünfzehn Mal mit dem Kopf zittern, dann ist sie an der Tür. An der Hintertür scheppern Kannen, Schuhe schlurfen. Ich würde gern hier aussteigen, mir etwas kaufen, einen Apfel nach dem Stück bezahlen, dafür muß man nicht Schlange stehen. Wenn es schnell ginge, würde ich die Straßenbahn noch kriegen. Gleich ist es neun, aber noch nicht Punkt zehn. Albu würde einen Apfel in der Tasche ja nicht sehen. Ein grasig grüner Sommerapfel, auch wenn die frühen meist wurmig sind und voller Flecken wie Muttermale. Wenn man reinbeißt, schäumt der Saft und zieht den Mund zusammen. So ein Apfel paßt zu der Bluse, die noch wächst. Ich könnte ihn im Fahren essen, oder gleich nach dem Aussteigen kurz vor zehn. Ich kann ihn auch aufheben. Wenn Albu mich behält, werd ich lange nichts zu essen kriegen. Aber was dann, wenn der Apfel die Nuß verdirbt und daran schuld ist, daß Albu mich behält. Bei allem Hunger wird mir einfallen, daß sich der Apfel in der Tasche mit dem Zahnputzzeug verbündet haben kann. Ich werd ihn widerwillig essen, so hungrig kann ich gar nicht sein, daß er mir schmeckt. Der mit der Mappe springt von seinem Sitz, geht zum Schaffner: Ich kauf mir auch schnell Aspirin, du stehst noch eine Weile hier. Nicht mehr lang, sagt der Schaffner, ich hätt auch gern Tomaten, aber wir sind spät dran. Wenn du wartest, bring ich dir, sagt der mit der Mappe. Der Schaffner öffnet seine Flasche: Nein, die nächste Runde fahr ich schneller, dann habe ich selber Zeit. Bevor er trinkt, wischt er den Flaschenmund mit der Hand ab, als hätte das letzte Mal ein anderer getrunken, nicht er.
     
     
    Alles wuselte in meinem Kopf herum, als ich an diesem Sonntag nach dem Flohmarkt hinter Paul zum ersten Mal in meinem Leben auf einem Motorrad saß. Die Straßen bogen sich in die Höhe. Im Stadtzentrum verließen zerstreute Großfamilien die Kirchentür und kamen nicht vom Fleck. Die

Weitere Kostenlose Bücher