Hexe auf leisen Sohlen
mein flügger Sohn, und auch ein Fremder weilt
in unseren Toren. He da, gebt die Parole.«
»Hallo, Vater«, antwortete
Aubrey mit beherrschter Stimme. »Ich möchte dich mit einem Freund bekannt
machen, Danny Boyd, einem deiner glühenden Verehrer, der darauf brennt, dich
kennenzulernen.«
»Gehen Sie ruhig in Flammen
auf, Daniel«, sagte Nicholas Blair, »wir haben die Rolle des Geistes noch zu
besetzen.«
»Nehmen Sie mich, und dann
werden Sie einen Hamlet erleben, wie er sein soll«, antwortete ich, als wir uns
die Hände drückten.
Nicholas Blair war ein Riese
von einem Mann, mit dem alternden Gesicht eines Backfischidols. Sein langes
schwarzes Haar war noch dicht und fiel ihm über ein Auge. Die Nase war lang und
gerade, das Kinn gespalten und entschlossen. Man bemerkte die grauen Strähnen
in seinem Haar, die Säcke unter seinen Augen und die tiefen Furchen in seinem
Gesicht erst, wenn man ihn von nahem sah. Geschminkt auf der Bühne mußte er wie
ein Fünfunddreißiger aussehen.
»Erlauben Sie mir, Sie mit den
anderen hier bekannt zu machen, Daniel?« sagte er mit seiner kraftvollen,
klingenden Stimme. »Lernen Sie den Mann ohne Seele kennen, meinen Direktor und
Regisseur Vernon Clyde.«
Clyde war der Mann, der auf der
Kiste saß. Er war kahl und, nach seinem Gesichtsausdruck zu schließen, von
Magengeschwüren sehr geplagt. »Seien Sie gegrüßt«, sagte er und wedelte eine
schlaffe Hand in meine Richtung.
»Neben Vernon sitzt meine
Mutter, Loise Lee«, sagte Nicholas Blair und lächelte
wohlwollend.
»Das ist Nickys pervertierter
Sinn für Humor«, sagte Loise Lee gleichgültig. »Er
will damit sagen, daß ich seine Mutter spiele, die Königin. Willkommen im
Narrenhaus, Mr. Boyd.«
»Danke«, sagte ich und sah sie
noch einmal an. Sie war um die Fünfunddreißig, vielleicht fünf Jahre weniger
oder mehr, vermutlich mehr. Ihre Schlachtschiffaufbauten waren prachtvoll in
den Proportionen, und jeder Mann, den sie an ihren Busen drückte, würde
ersticken, wenn sie es wollte.
Bei der Kühnheit ihrer Augen
und der Fülle ihrer Unterlippe bezweifelte ich das allerdings. Ich meine, ihn
ersticken zu lassen.
»Lernen Sie als letzte, aber
keineswegs als geringste Charity Adam kennen«, fuhr Nicholas fort.
»Wäre Eva für eine Frau nicht
passender?« sagte ich, um mich der Umgebung anzupassen.
»Morgen«, sagte Charity Adam,
ohne daß sich der konzentrierte Ausdruck auf ihrem Gesicht verlor. »Wollen wir
jetzt weitermachen, Nicholas?«
Nicholas schüttelte den Kopf.
»Wir haben Besuch«, sagte er. »Welche bessere Entschuldigung gäbe es dafür,
aufzuhören, jedenfalls im Augenblick.«
Charity Adam war jung und hatte
sich offensichtlich voll und ganz der Kunst geweiht. Ihr blondes Haar hatte
einen Schnitt, den man vor ein paar Jahren die italienische Frisur nannte, weil
es keine höfliche Bezeichnung dafür gab. Es war ein Stutzen, das die Haare
eines Mädchens wie das Haar eines Mannes aussehen ließ, der dringend zum
Friseur mußte. Aber ihr stand diese Frisur gut.
Der schwarze Pullover und die
enge schwarze Hose, die sie trug, hatten die Aufgabe, eine perfekte Umhüllung
für ihre perfekte Figur abzugeben. Ihre Brüste waren klein und vollkommen
geformt, mit einem atemberaubenden Zug nach oben, der offensichtlich die
Beengung durch einen Büstenhalter verabscheute und sich offenbar mit dem
einengenden Druck eines Orlonpullovers nicht abfinden
wollte. Ein breiter Flittergürtel umschloß ihre unglaubwürdig schmale Taille.
Ihre Beine waren lang und schlank und verjüngten sich zu zarten Knöcheln.
Leider konnte ich die Farbe des Nagellacks ihrer Zehen nicht sehen, weil sie
Schuhe trug, und außerdem glückte mir nur ein flüchtiger Blick.
»Es freut mich, einen Freund
von Aubrey kennenzulernen«, dröhnte Nicholas Blair mich plötzlich an. »Ich
wußte gar nicht, daß er einen hat.«
Aubrey jaulte nervös. »Wir
lernten uns in Palm Springs kennen, Vater. Ich verbrachte dort meinen letzten
Urlaub, erinnerst du dich?«
»Nein«, entgegnete Nicholas
kalt. »Dein Leben ist ein einziger Urlaub. Weshalb erst Palm Springs bemühen?«
»Warum läßt du ihn nicht in
Ruhe, Nicky?« fragte Adele Blair ärgerlich. »Du bringst Aubrey und seinen
Freund nur in Verlegenheit.«
Nicholas´ Augenbrauen hoben
sich zwei Zentimeter. »Kommen Sie leicht in Verlegenheit, Daniel?«
»Gewiß«, bestätigte ich. »Ich
bin ein sehr nervöser Typ. Selbst mein Psychoanalytiker hat aufgehört, mir
Fragen zu stellen, weil er
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