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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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fast jeder, im Gefängnis und anderswo. Sie solle nur alles mir mitgeben. So werde das arme Kind schon heute nacht, gewärmt von ihrer Barmherzigkeit, sanfter schlafen. »Mach das Bündel kleiner!« riet ihr der Doktor bitter. »Viel braucht es wohl nicht mehr.«
    Sie verschwand wieder. Der Arzt aber sah mich lächelnd an und fragte: »Ihr kennt sie schon?« Er wußte es also. Hatte ich ihr Benehmen gegen mich falsch gedeutet? »Ich weiß es nicht«, fuhr er fort, als erriete er meine Gedanken, »aber ich sah ihr Gesicht vorhin und eben jetzt. Sie kann sich nicht verstellen, jedenfalls vor mir nicht.«
    Ich kam mir sehr töricht vor. Wie hatte ich dieser Frau zutrauen können, daß sie ihrem Mann etwas verschwieg! Und was gab es denn zu verheimlichen an unserer ersten Begegnung? »Ich konnte ihr einmal in einer schwierigen Lage nützlich sein.«
    »Wann war denn das und wo?« fragte er verwundert und, wie es schien, ganz arglos. Ich trug keine Bedenken, ihm unser Zusammentreffen beim Bischof zu schildern.
    »Ach so.« Sein Lächeln war fort, sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich fürchte, da wurde ihr kein guter Dienst geleistet. Ihr wißt, was sie vom Bischof wollte?« Als ich nickte, fuhr er fort: »Sie ist darin wie ein Kind. Sie glaubt, was sie wünscht und für richtig hält, müßte jedem einleuchten, sobald sie nur die rechten Worte findet. Und das traut sie sich nun einmal in jedem Falle zu. Zieht keine falschen Schlüsse, Pater!«
    Die Spur von Argwohn in seinen letzten Worten kränkte mich, aber ich erwiderte, ein solcher Glaube an den Sieg des Guten sei doch lobenswert und sehr geeignet, Gottes Macht in der Welt zu mehren. Davon wollte er jedoch nichts wissen. »Es ist Vermessenheit, ein Spiel mit Tod und Teufel!« Wieder trat die Frau herein und reichte mir ein handliches Bündel, das ich bequem an einem Strick über die Schulter hängen konnte. Wir traten in den Flur hinaus. Lautenspiel und Gesang von Mädchenstimmen klangen uns entgegen. »Unsere Töchter«, antwortete die Frau meinem verwunderten Aufhorchen.
    Nun erkannte ich auch die Weise und verstand die Worte. Sie klangen mir nach, als ich mit meinem Bündel hinaus auf die dämmernde Gasse trat:
     
    »Viel hunderttausend ungezählt
    Da unter die Sichel hinfällt.
    Rote Rosen, weiß Lil’gen,
    die wird er austilgen.
    Ihr Kaiserkronen,
    Euch wird er nicht schonen.
    Hut dich, schön’s Blümelein!«
     
    Was alle Qual, die ich mitangesehen, alle Sorge und Gedankenlast dieser Tage nicht vermocht hatten, tat dies Lied. Mir kamen die Tränen.
    Betet für mich, mein Freund und Vater, daß Gott mir bald einen Weg zeige aus diesem Irrsal, das ich kaum mehr nur eine Anfechtung zu nennen vermag.
    Euer P. Friedrich
     
     
    Der fürstbischöfliche Rat Doktor Johannes Dürr ging durch die mittäglichen Gassen heim von einem Hexenverhör. Die Leute grüßten ihn scheu, denn obgleich noch jung, war er als Richter gefürchtet um seiner gnadenlosen Strenge willen. Er kannte nichts als seine Pflicht. Niemals hätte er auch nur den geringsten Teil seiner Obliegenheiten vernachlässigt, zu denen jetzt eben auch die Hexenjustiz gehörte, gewiß nicht angenehm, aber notwendig. Wenn er nach erfüllten Amtspflichten heimging, beschwerte sie seine Gedanken nicht mehr als irgendeine andere Tätigkeit. Daß es an diesem Mittag anders war, merkte niemand ihm an, der ihn so dahinschreiten sah, einen zielstrebigen jungen Beamten Seiner Fürstlichen Gnaden, der es noch weit bringen konnte.
    Er erreichte sein Haus in der Rosengasse, trat ein und stieg die Treppe zum Oberstock hinauf, ohne sich wie sonst in der Küche zu melden, die Mutter zu begrüßen und nach dem Befinden von Frau und Kind zu fragen. Das alles hatte er vergessen. Als er die Stubentür hinter sich schloß, fiel die starre Würde von ihm ab, die er durch die Gassen zur Schau getragen hatte. Er warf den Hut achtlos auf einen Stuhl, ging am gedeckten Tisch vorbei zum Schreibpult am Fenster, setzte sich auf den Schemel davor und stützte den Kopf in die Fäuste.
    Noch einmal erlebte er die letzte Stunde, das Hexenverhör in der halbdunkeln Folterkammer, das Ächzen der Winde, das Stöhnen und Jammern, endlich die hohle Stimme aus dem gemarterten Körper, die ihn so vernichtend getroffen hatte: »Die Dürrin, ja, auch die Dürrin war dabei, die Alte!« Er hatte sich vergessen, erinnerte er sich voll Scham, hatte den Henker angeschrien und gefordert, er müsse das Weib zum Widerruf bringen, das sei eine Lüge. Erst

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