Hexen in der Stadt
sie es ewig halten werde.
Veronika wußte es besser. Sie ahnte, daß sie zuviel forderte. Noch vieles hätte sie zur Warnung sagen mögen, dem Kinde klarmachen, welche gefährliche Gabe es geerbt hatte. Aber machte nicht jedes Wort zuviel, jedes Mehrwissen die Gefahr nur größer?
Da ging die Haustür. Sebastian kam heim und rief durch den Hausflur: »Seid ihr immer noch auf?« Veronika erwiderte, sie wollten gerade schlafen gehen. Ehe sie aus der Tür ging, sah Sabine das Gesicht der Mutter einen Augenblick ihr zugewendet, totenbleich, den Finger auf den Lippen, mit beschwörendem Ausdruck.
Erst später, als sie neben der friedlich schlafenden Katrin noch lange wach lag, fiel ihr ein, sich über die letzte Gebärde der Mutter zu wundern. Wenn ihr vorwitziger Streich ein so ernstes Vergehen, wenn die Gefahr wirklich so groß war, warum sollte dann der Vater nicht davon wissen? Gerade er, der für sie alle der beste Schutz war.
Pater Friedrich an Pater Tannhofer:
den 7. Oktober 1627
Verehrter Freund und Vater!
Ihr wißt wohl, daß ich nicht als ein Neuling das Amt des Hexenbeichtigers in dieser Stadt übernommen habe, obwohl ich es zuvor noch kaum ausgeübt habe. Aber ich habe die Bücher der großen Hexenrichter von Grund auf studiert wie kaum ein anderer, auch viel über die Werke der Finsternis nachgedacht und Gebete hinaufgeschickt zu Gott, daß er einen Lichtstrahl herabsende und uns zeige, wie das Dunkel zerstreut werden möge. Dennoch – Ihr werdet es wohl Feigheit nennen – bin ich der Begegnung mit dem Laster aller Laster de facto immer ausgewichen und habe es gern meinen Ordensbrüdern überlassen, unter diesen Verlorensten aller armen Sünder Seelen zu retten. Trotz meiner Kenntnisse schien mir immer noch viel Unbegreifliches um diese Dinge zu sein, um das Laster wie um seine Bestrafung. Es gab Fragen, vor deren Beantwortung ich zurückschreckte. Hier aber, in dieser Stadt, kann ich nicht mehr ausweichen. Hier muß ich Rede stehen, ob ich will oder nicht.
Ich fand eine Anzahl bereits überführter und geständiger Malefikanten vor, einige schon verurteilt. Die meisten sind Frauen, aber bei weitem nicht alle, wie ich früher geglaubt habe. Eine Woche nach meiner Ankunft fand die erste Hinrichtung statt, der erste Brand, wie sie hier sagen. Doch werden wie fast überall heutzutage die Hexen gemeinhin mit dem Schwert gerichtet und ihre Leichname nachher verbrannt. Nur bei unbußfertigen Sündern oder etwa ganz besonders schweren Fällen gilt noch die alte grausame Strafe des Feuertodes. Doch sollen solche Fälle sogar hier selten sein, und ich bete zu Gott, daß es so bleiben möge.
Die vier alten Frauen, die damals am 17. Juni als erste einer langen Reihe ihre Strafe erleiden mußten, gaben mir schon ein treffendes Bild vom Seelenzustand der meisten Malefikanten. Zwei von ihnen waren arme Geschöpfe, denen Angst und Qual wohl ihr bißchen Verstand ganz geraubt hatten. Aus ihnen war kein klares Wort herauszubekommen. Auch in der Beichte plapperten sie nur herunter, was sie schon vor Gericht bekannt hatten: Ausfahrt auf Besen und Ofengabeln, Teufelsbuhlschaft, Schadenzauber an Mensch und Vieh. Sie beteuerten, das alles sei so gewesen, und sie bereuten es.
Die dritte, die Gutbrodtin, eine alte, sehr reiche Bürgersfrau, redete kaum ein Wort. Gebrochen an Leib und Seele, wartete sie nur auf den Tod. Doch war sie weder zum Beichten noch zu einem christlichen Gebet zu bewegen, so sehr war sie von Bitterkeit erfüllt. Einmal sagte sie, es sei ihr gewiß, daß nur ihr Geld sie ins Hexengefängnis und auf den Scheiterhaufen gebracht habe. Diesen verstockten Irrtum konnte ich ihr nicht ausreden. An ihrem letzten Tag fragte sie mich, ob man auch mit einer ungebüßten Sünde drüben auf Gottes Vergebung hoffen dürfe. Ich war froh über dies erste Zeichen von Reue und ermahnte sie, ihr Gewissen zu erleichtern. Da fragte sie listig, was ich ihr wohl auferlegen würde, wenn sie mir eine schwere Lüge beichtete. Nun, die müsse sie selbstverständlich widerrufen und die reine Wahrheit sagen, erwiderte ich, vielleicht zu eilfertig. Denn sie antwortete höhnisch, diesen Bescheid habe sie von mir erwartet. Nein, danke, da wolle sie sich lieber auf Gottes Barmherzigkeit verlassen. Noch einmal die Folter – nein! So starb sie ohne Reue.
Die vierte Frau, die Witwe eines Ratsherrn Liebler, löste mir das Rätsel, das mir die Gutbrodtin aufgegeben hatte. Sie, die Lieblerin, setzte mich in Staunen durch die
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