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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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Mutter schuldet, sie möge sein, wie sie wolle. Diese Anwandlung war ihm ganz vergangen, er erinnerte sich nicht einmal mehr daran.
    Nur eins wollte er noch für sie tun, mochte sie es nutzen, wie sie konnte. Er wollte ihr vorschlagen, nach Höchberg zu wallfahrten, um für die Genesung der Madien zu beten. Hatte sie Argwohn geschöpft und kehrte von der Wallfahrt nicht heim, nun gut, so hatte er seiner Sohnespflicht genügt. Kam sie aber wieder, so mochte die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen. Auf alle Fälle aber kam ihr die Madien für ein paar Tage aus den Händen. Vielleicht war sie doch noch zu retten. Während unten im Haus die weinenden Mägde das tote Kind schmückten und einsargten und die kranke, junge Mutter ahnungslos schlief, saß Johannes Dürr bei der Kerze an seinem Pult und schrieb an den Doktor Reutter.
    Der erschrak nicht wenig, als früh am nächsten Morgen der Amtsdiener an seine Tür klopfte. Dann aber las er mit Staunen den Brief des Fürstbischöflichen Rates. Veronika las über seine Schulter mit und wunderte sich noch mehr. Alles, was man in der Stadt von der todkranken jungen Dürrin wußte, fiel ihr ein: »Seit Jahren ist sie siech, zwei Kinder sind ihr gestorben, und mit dem dritten geht’s auch zu Ende. Sie selbst soll auf den Tod liegen. Dennoch haben sie nie einen Arzt geholt. Die alte Dürrin läßt keinen heran und hält es mit Zaubermitteln, sagen alle.«
    »Das weiß ich alles. Jeder weiß es«, sagte Sebastian.
    Stumm blickten sie einander an. Dann begann Veronika von neuem: »Und jetzt will er deinen Rat. Das tun viele, und es bedeutet nichts. Aber bei ihm, dem Hexenrichter, ist das doch etwas anderes. Wenn du bedenkst, wie ungeheuer groß denen die Macht der Hexen erscheint, so groß, daß sie sich in Grausamkeiten überbieten, nur um des eigenen Wahns Herr zu werden, und da fängt einer an, an dieser Macht zu zweifeln, so sehr, daß er Hilfe bei der Wissenschaft sucht – könnte das nicht ein gutes Zeichen sein?«
    Sebastian zuckte die Achseln. »Dann müßte es mir vor allem gelingen, die Frau zu heilen.«
    »Und warum nicht? Dir ist doch schon manche Heilung geglückt, an die keiner mehr geglaubt hat.«
    »Das kann man nie voraussagen. Sie muß sehr krank sein, nach allem, was ich hörte.«
    Dennoch machte er sich voll ungewisser Hoffnungen am nächsten Sonntagmorgen nach der Kirchzeit, wie er gebeten worden war, auf den Weg zum Hause des Richters.
    Dürr empfing ihn in einer schönen, geräumigen Stube sehr freundlich. Doch schien er befangen, redete nur halblaut und blickte oft nach der Tür, als befürchte er eine Störung. Sebastian dachte an die alte Dürrin und unterdrückte ein Lächeln. Er konnte sich vorstellen, was die von seinem Besuch halten mochte. Seltsam zu denken, daß der gefürchtete Hexenrichter vor dem Zorn einer alten Frau zitterte!
    Aber solche Gedanken lenkten ihn nur kurz von dem ernsthaften Gegenstand des Gesprächs ab. Dürr versuchte mit ungeschickten Worten den Verlauf der Krankheit zu schildern und was man bisher dagegen getan hatte. Er war anscheinend stolz auf die Summen, die er für weise Frauen und teure Wundermittel, aber auch für Messen, Wallfahrten und fromme Stiftungen aufgewendet hatte, leider ohne Erfolg. Sebastian fragte endlich, warum man so spät, erst heute, nach dem Tod des dritten Kindes, einen Arzt zu Rate ziehe. Dürr murmelte verlegen, die Mutter habe es nicht geduldet. Einmal sei der Stadtmedikus Mylius dagewesen. Der habe viel Latein geredet, aber auch keinen Rat gewußt. Seitdem habe die Mutter nichts mehr von den gelehrten Herren gehalten und die Sache selbst in die Hand genommen. Nun aber, da kein Mittel wirklich geholfen habe, sei der Doktor die letzte Hoffnung.
    Sebastian verlangte, die Kranke zu sehen, ehe er irgend etwas sage oder rate. Dürr führte ihn über den Flur zu ihr. Vor der Tür flüstere er: »Sie weiß noch nicht, daß das Kind gestorben ist. Wir dachten, es wäre besser.« Sebastian nickte ihm zu und gewann um dieser Regung willen den strohtrockenen Burschen fast lieb. In der halbdunklen Stube, die der Ofen mit erstickender Hitze füllte, blickte zwischen den schweren grünen Bettvorhängen die Kranke wie ein ängstliches Vögelchen ihnen entgegen. Sebastian riß die Vorhänge am Fenster und die am Bett beiseite. Da sah er, was ihm den letzten Schimmer von Hoffnung raubte, den er noch gehegt hatte: die erschreckende Magerkeit der jungen Frau, die Röte, die das Volk Kirchhofsrosen nennt, auf den hohlen

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