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Hexen in der Stadt

Hexen in der Stadt

Titel: Hexen in der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Engelhardt
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    Erschreckt nicht, mein Vater! Ich bin mir bewußt, daß dies nur die unvollkommenen Betrachtungen eines Menschen sind, der noch allzuwenig von der Sache weiß, um sich ein Urteil erlauben zu dürfen. Hundertmal werde ich meine Erfahrungen prüfen und Euch ins Vertrauen ziehen, ehe ich irgend etwas daraus zu folgern wagen werde.
    Inzwischen tue ich meine Pflicht, so gut ich vermag, und suche nicht nur die geistliche, sondern auch die irdische Not der mir Anvertrauten zu lindern. Oft bin ich unterwegs in den Gassen der Stadt und über Land, um Angehörige zu trösten oder Botschaften zu überbringen. Auf einem dieser Gänge begegnete ich dem Arzt Sebastian Reutter, den ich während meiner ersten Audienz beim Bischof hatte nennen hören. Es geschah, als ich für ein zwölfjähriges Kind im Hexengefängnis, eben jenes, für das die Frau des Arztes damals vergeblich beim Bischof gebeten hatte, ein wenig warme Kleidung und Bettzeug erbitten wollte. Denn die Gefangenen müssen sich mit diesen Dingen von daheim versorgen lassen. Das Kind aber, dessen Prozeß sich hinzog, lag nun seit Monaten im dünnen Hemd und Röckchen, wie es aufgegriffen worden war, auf dem bloßen Stroh. Die Muhme, bei der es gewohnt hatte, kümmerte sich nicht im geringsten um sein Schicksal. Ich gedachte, das hartherzige, vielleicht auch nur dumme Weib an seine Pflicht zu mahnen. In der armseligen Gasse, in die ich gewiesen worden war, traf ich den Arzt. Er wies mir den Weg, riet mir aber ab, von diesem Weib irgend etwas zu erwarten. Der wahre Teufel, der Aberglauben heiße, sei in ihm verkörpert. Anscheinend hatte er schon seine Erfahrungen mit der Muhme gemacht. Denn er behielt recht. Ich war schnell genug wieder draußen, und er, der auf mich gewartet hatte, lachte mich auf liebenswürdige Weise aus. Dann sagte er, seine Frau könne gewiß das Wenige, dessen das Kind bedürfe, aus Eigenem hergeben. Wir gingen zu seinem Hause am Fischmarkt.
    Die Frau öffnete uns. Sie erkannte mich sogleich wieder, wie ich sie, ließ es sich aber nicht anmerken. Darum tat ich wie sie. Während sie ging, um auf Geheiß ihres Mannes ein wenig Leinenzeug und Kleidung zusammenzusuchen, führte er mich in seine Stube gleich neben der Haustür. Ich staunte. Es war die Behausung eines Gelehrten. Bücher füllten die Wände bis unter die Decke. Neben ärztlichen Instrumenten lagen Schädel und Gebeine von Mensch und Tier in den Borden. Ja, ein Mikroskop sah ich, wie sie es neuerdings in den Niederlanden herstellen.
    »Ihr seid ja ein Gelehrter, Doktor!« rief ich aus. Ich hatte ihn für einen gewissenhaften Arzt und nicht mehr gehalten. »Ich wäre gern einer geworden«, erwiderte er. »Zu Padua hab’ ich einmal die Anatomie studiert und davon geträumt, an einer der großen Hochschulen in Frankreich oder in den Niederlanden der Wissenschaft zu dienen. Es war mir anders bestimmt. Ich führe den Kampf gegen die Finsternis auf meine Weise.«
    »Ein guter Kampf, wenn Ihr damit den Teufel meint.«
    »Den meine ich, nur sieht meiner vielleicht anders aus als der Eure, ohne Schweif und Hörner.«
    Ich spürte die Gefahr der Lästerung und ließ mich auf kein Zugeständnis ein. »Laßt ihm nur die Schreckensmaske! Wer daran zu zweifeln beginnt, endet leicht mit dem Leugnen der höllischen Macht überhaupt. Vergeßt nicht, daß auch diese Dinge, so altertümlich, ja lächerlich sie manchem scheinen mögen, Teil unseres heiligen Glaubens sind!«
    »Mißbraucht das Wort nicht!« kam es scharf zurück. »Sagt lieber Nichtwissen! Unwissend und ohne Ehrfurcht urteilt man über Dinge, die man nicht versteht, weil sie dem menschlichen Geist noch ein Rätsel sind. Noch – denn eines Tages werden sie es nicht mehr sein. Aber sie zu enthüllen, braucht Geduld und Wissen, nicht die Folter, Pater! Ihr seid ein Christ und ein denkender Mensch. Graut Euch nicht manchmal?«
    Ich wagte nicht zu antworten, es wäre ein Ja geworden. Mich entsetzte die Klarheit, mit der dieser Mann das aussprach, was ich in Stunden der Anfechtung in mir niederkämpfte. Aber ich bezwang mich, mein Vater, und schwieg. Ich ließ mich nicht hinreißen, das Gespräch fortzusetzen.
    Die Frau sah zur Tür herein und sagte, sie hätte allerlei gefunden, aber das Bündel sei zu groß. Ich sollte mich nicht damit schleppen, sie werde es morgen durch einen Jungen zum Gefängnis schicken. Ich widersprach. Wenn die Gabe nicht in meiner Hand bliebe, sei es ungewiß, an wen sie geraten könnte. Bedürftig sei heute

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