Hexen in der Stadt
Fassung, mit der sie ihr Schicksal trug. Sie gestand mir, von der Hexerei verstände sie so viel wie der Esel vom Harfeschlagen, habe aber alles eingestanden, was man ihr vorgesagt, weil sie habe einsehen müssen, daß anders kein Entkommen aus Kerker und Folterqual sei. Der Tod sei das kleinere Übel. Erschrocken beschwor ich sie, doch nicht auf einem falschen Geständnis zu beharren, ihre Richter nicht so schwer ins Unrecht zu setzen. Sie sah mich seltsam an und erwiderte, da sei sie nicht die einzige. Für alle könne sie nicht einstehen, aber ganz sicher werde es noch manchen geben, der sich auf solche Weise den schnelleren Tod erkaufe. Ich solle sie doch nicht von neuem auf die Folter bringen, indem ich den Richtern ihren Widerruf mitteilte. Gott werde ihr schon verzeihen, wenn sie mit dieser ungebüßten Lüge zu ihm komme. Ich glaube nicht, mein Vater, daß ich gegen meine Pflicht verstoßen habe, als ich sie lossprach. Ja, ich versuchte, sie von ihrer letzten irdischen Sorge zu befreien. Sie hinterließ eine einzige Tochter, an der sie mit großer Liebe hing. Dennoch war ihr, als sie auf der Folter immer wieder nach Mitschuldigen gefragt wurde, wider Willen, fast ohne Bewußtsein, der Name der Tochter entfahren. Vergeblich hatte sie versucht, diese Anschuldigung zurückzunehmen. Nun war das Mädchen in höchster Gefahr. Sie flehte mich an, es zu warnen und ihm zur Flucht zu raten. Gern hätte ich ihr diese Bitte erfüllt. Aber ich kam zu spät. Die junge Lieblerin war, schon auf der Flucht, ergriffen und gefangengesetzt worden. Ihr wißt wohl, daß der Versuch zu fliehen als besonders schweres Indiz gilt. Was übrigens gilt nicht dafür!
Das Wesen dieser vier Frauen ist mir in der Folge immer wieder begegnet: tierisch dumpfe Angst, Verbitterung oder – selten – ergebene Fügung ins Unvermeidliche. Daß es unvermeidlich ist, wie die Dinge nun einmal liegen in der Welt zwischen Himmel und Hölle, das habe ich selbst unter Qualen mir zu eigen machen müssen.
Fürchtet jedoch nicht, mein Vater, daß ich, unzeitiger Schwäche nachgebend, in Zweifel fallen könnte an meinem Amt und am göttlichen Auftrag der Malefizjustiz! Ich werde stark bleiben und um mehr Kraft beten und eines Tages den Mut finden, sogar der Folter beizuwohnen. Denn sie, das habe ich erkannt, ist die stärkste Macht in diesem ganzen Verfahren und mehr noch die Furcht vor ihr. Sie bricht die verstocktesten Sünder und lockt die Geständnisse hervor, das reine Gold der Wahrheit, das zwar den leiblichen Tod, aber die Erlösung der Seele bringt. Ich muß und will mich bezwingen, diesen grauenhaften Vorgang der Läuterung mitzuerleben. Wie anders soll ich begreifen, was in diesen Unseligen vorgeht!
Freilich wird mir mein guter Glaube an die gerechte Sache nicht leicht gemacht. Einmal, ganz im Anfang, habe ich mit meinem Mitbruder im traurigen Amt, dem Kapuziner Petri Kettenfeier, von meinen Bedenken gesprochen. Er lachte mich aus, wahrhaftig, er vermochte zu lachen! Da sollte ich nur ohne Sorge sein. Das alles sei schon von klügeren Leuten als uns beiden zu Ende gedacht worden. Niemals würde Gott Leiden und Tod von Unschuldigen zulassen, und wenn es doch einmal dahin komme, so geschehe es gewiß in höherer Absicht. Ob ich mich vermessen wolle, den Willen Gottes zu kennen? Er für sein Teil spreche keine Hexe ihrer Sünden los, ja, höre überhaupt ihre Beichte an, ehe sie sich nicht des Bundes mit dem Teufel schuldig bekannt habe. Danach habe noch keine vor ihm auf ihrer Unschuld beharrt, keine einzige. Ihm aber küßten sie Hände und Füße für ein Gebet, ja, für eine gutes Wort. So und nicht anders müsse man mit dem Gesindel reden.
Mich entsetzt die rohe Auffassung unseres Amtes wie des ganzen Gegenstandes. Seither habe ich den Kapuziner nicht mehr ins Vertrauen gezogen. Meine Erfahrungen sind anders als die seinen. Noch habe ich von keiner der etwa fünfzig Hexen, denen ich den letzten Beistand leistete, ein offenes Schuldgeständnis gehört. Entweder schweigen sie ganz auf die entscheidende Frage, oder sie wiederholen, hirnlos und halb von Sinnen, was sie vor dem Richter ausgesagt haben. Viele aber bekennen mir das gleiche wie die Lieblerin: das falsche Geständnis, die falsche Anschuldigung anderer, nur um sich den schnellen Tod zu erkaufen. Und alle flehen mich an, nicht den Widerruf von ihnen zu fordern, sie nicht noch einmal der Folter auszuliefern. Könnt Ihr in Eurer Herzensgüte verstehen, daß ich sie alle
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